Parteien für nichtreformistische Realpolitik

Ein Text von Didem Aydurmus, Robert Porzel und Stefan Sander im Nachgang der Veranstaltungsreihe

Partei ergreifen: echt jetzt?

Die Frage, warum wir uns parteipolitisch engagieren, ist einfach zu beantworten: Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, in der Politik unter anderem durch Parteien gestaltet wird. Parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit schließen sich keinesfalls aus, sondern können sich sogar gegenseitig ergänzen. Auf der Straße neben anderen Aktivist*innen stehen, um dann deren Forderungen mit in die Parteigremien zu nehmen, hat einen besonderen Charme, aber auch ganz eigene Herausforderungen. In der Regel handelt es sich um verschiedene politische Kulturen, die oft keine gemeinsame Sprache sprechen und auch in anderen Strukturen denken. Uns kommt dann eine Mittler*innenfunktion zu – wenn es gut läuft, mit jeweils positivem Feedback, wenn es schlecht läuft, mit weiterem Unverständnis beider Seiten, wobei die Reaktionen auf Druck von der Straße, je nach Partei, durchaus unterschiedlich sein können.

Am Ende sind Legislative, Judikative und Exekutive für den (Nicht-)Schutz von Tieren entscheidend. Besonders die Lobbyverbände der Tierindustrie haben die Macht des Parlaments und der Regierung schon lange erkannt. Durch jahrzehntelanges Einwirken in die Politik und insbesondere durch personelle Überschneidungen haben diese den Status Quo maßgeblich geprägt. Das muss aber nicht so bleiben. Zwar mag Parteiarbeit erstmal unattraktiv klingen, allerdings ist sie der zentrale Ort der politischen Arbeit und damit der Entscheidungen. Arbeit in der Partei kann erfüllend sein, ist allerdings auch oft sehr anstrengend. Parteien sind durch Parteiengesetz, Satzungen und gewachsene Strukturen geprägt und sind deshalb weniger flexibel als aktivistische Gruppierungen. Das führt leider dazu, dass viele Menschen keine Lust auf Parteiarbeit haben. Somit ist die Tierindustrie mit ihrer Lobby regelmäßig die einzige Stimme, die sich direkt in die politischen Prozesse eingebracht hat und ansonsten höchstens eher klassische Tierschutzverbände Lobbyarbeit betreiben und Tierrechtsgruppen hier fast gänzlich fehlen. Das sollte sich für die Befreiung der Tiere und im Sinne der revolutionären Realpolitik dringend ändern.

Durch die persönliche Mitwirkung in einer Partei erschließen sich neue Instrumente, mit denen Veränderungen angetrieben und umgesetzt werden können. Zentral steht dabei für jedes Parteimitglied die Mitwirkung bei Wahl- oder Grundsatzprogrammen. Zudem kann Einfluss auf Beschlüsse zur Gesetzgebung genommen werden und auch aus der Opposition heraus können über parlamentarische Anfragen politische Prozesse in Bewegung gesetzt und unterstützt werden. Der persönliche und direkte Zugang zu Politiker*innen ist ebenso ein wichtiger Faktor. Die Demokratie in Deutschland ist im Umbruch. Es gibt neue Mehrheiten und Verschiebungen, deswegen lohnt es sich besonders, aktiv Veränderung mitzugestalten.

Quer durch die Bank

Tierpolitik wird häufig als Querschnittsthema gesehen. Das spiegelt sich in der Verteilung über die unterschiedlichsten politischen Ressorts – Wildtiere gehören zu Umwelt, sogenannte „Versuchstiere“ zu Wissenschaft und landwirtschaftlich ausgenutzte Tiere zum Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Das zeigt nicht nur, wie vielfältig und bedeutsam unsere Thematik ist, sondern auch, dass tatsächlich jeder einzelne Mensch von unserem derzeitigen Umgang mit Tieren betroffen ist. Im Umkehrschluss würden nicht nur Tiere und Umwelt, sondern auch alle Menschen von einer tatsächlichen Tierbefreiung profitieren.

Auch wenn die Lesenden hier es schon lange wissen, darf nicht unerwähnt bleiben, dass der (Nicht-)Konsum von Tierprodukten ein zentraler Hebel für die Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase ist (Abb. 1). Sowohl die Konsequenzen aus der Umweltzerstörung als auch die Zustände und Praktiken in Ställen, Schlachthäusern, in der Produktion und im Vertrieb von Tierprodukten steigern das Zoonosen- und Pandemierisiko. Damit sind bei diesen Themen politisch Umwelt-, Gesundheits- und Klimaministerien betroffen und zuständig.

Abb. 1) Reduktion der CO2-Äquivalente in Abhängigkeit der Ernährungsweise (nach Searchinger et al. 2018)

Dass das Konsumieren von Tierprodukten eine äußerst ineffiziente Ernährungsweise ist, steht fest – trotz aller leicht widerlegbaren Argumente, die gerne dagegen ins Feld geführt werden. Nicht nur die Umwandlung von pflanzlichem zu tierischem Eiweiß hat erhebliche Verluste, die Tierhaltung hat zudem einen enormen Wasser- und Energieverbrauch. So werden Ressourcen wie Lebensmittel und Wasser zusätzlich verknappt. Der Hunger in der Welt ist ein Umverteilungsproblem des kapitalistischen Wirtschaftssystems, aber auch ein Verteilungsproblem bezüglich der Ernährungsweise – Essen geht in den Trog und nicht auf den Teller. Eine Lebensmittelumstellung bedeutet, dass enorme Flächen für beispielsweise Aufforstung und als CO2-Senken frei würden. Noch immer brennen Regenwälder für Weideflächen und die Produktion von Futtersoja – also auch für den Konsum im Globalen Norden (Nepstad 2014). Hierbei überschneidet sich Tierpolitik mit den Themenfeldern der Ministerien für Ernährung sowie dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Auf den ersten Blick ist nicht sofort klar, weshalb das Thema Krieg – und somit sogar das Verteidigungsministerium – etwas mit unserem Umgang mit Tieren zu tun hat. Allerdings hat der Bereich mindestens zwei Dimensionen. Zum einen ist die Klimakatastrophe klar kriegstreibend, bereits bei den Folgen des arabischen Frühlings wird von Klimakriegen gesprochen (Lagi et al. 2011). Getreideknappheit und damit auch erhöhte Brotpreise als Folge einer Dürre trieben die Menschen zunächst auf die Straßen. Zum anderen lässt es eine Gesellschaft nicht völlig unberührt, wenn systematisch Gewalt gegenüber fühlenden und wehrlosen Lebewesen millionenfach täglich verübt wird.[1]

Kritik der praktischen Parteiarbeit

Mit unseren Parteien und ihren Aktiven haben wir über viele Jahre Erfahrungen gesammelt. Wenn sich auch die jeweiligen Bewegungen und Parteien unterscheiden, mag doch der eine oder andere Gesichtspunkt grundsätzlich interessant sein. Unsere Parteien sind regional und inhaltlich gegliedert. Bis es ein Antrag von unten bis nach ganz oben schafft, kann ein Jahr oder mehr vergehen. Gelegentlich kann es mit den „richtigen Verbindungen“ oder mit gutem Timing allerdings auch ganz schnell gehen. Die Gestaltungsmethoden und -möglichkeiten unterscheiden sich dennoch substantiell zwischen den Parteien.

Da wir in allen Parteien als Veganer*innen/Tierrechtler*innen in der Minderheit sind, müssen Anträge so geschrieben sein, dass auch „gemäßigte Fleischesser*innen“ zustimmen können, denn ansonsten ist eine Mehrheit nicht erreichbar. Sinnvoll kann es sein, radikalere Forderungen kreativ zu gewanden, bei längeren Parteitagen einen Antrag ohne Aussprache zur Abstimmung zu bringen oder überzeugend für diesen zu sprechen. Häufig fällt jedoch die Redemöglichkeit – ohne entsprechende Delegierung – beim nächst höheren Gremium weg. Insofern muss ein Antrag immer für sich stehen können. Bei der LINKEN sind Antragsstellende allerdings grundsätzlich eingeladen, wenn Ihre Belange auf der Tagesordnung stehen.

Für echten Fortschritt braucht es letztlich Aktive auf allen Ebenen, denn ohne vorherige Diskussion oder Verbündete in anderen Landesteilen wird beispielsweise ein starker Tierrechtsantrag aus Bremen schwerlich eine Mehrheit auf einem Bundesparteitag erzielen. Dies ist, neben anderem, sicher einer der Gründe, warum sich auf Bundesebene in unseren Parteien so wenig bewegt. Auf kommunalen und landespolitischen Ebenen sind gegebenenfalls schnellere Erfolge möglich. Manchmal kann es aber auch hier zu Überraschungen kommen und so kann schon eine einzige störrische Person einen Unterschied machen und eine Abstimmung in eine für uns unerfreuliche oder auch erfreuliche Richtung lenken.

Beschlusslagen alleine reichen jedoch nicht. Besondere Aufmerksamkeit ist bei der Erstellung der Wahlprogramme notwendig, denn ansonsten könnten Teile der Beschlusslage aus organisatorischen oder inhaltlichen Gründen übergangen werden und zudem bei Koalitionsverhandlungen nicht eingefordert werden. Zuletzt ist ein guter Draht zu den entscheidenden Abgeordneten/Verantwortlichen und Bündnispartner*innen entscheidend. Engagement in den Parteien kann viel nützen. In jedem Fall braucht es soziale und fachliche Kompetenz sowie Mitstreiter*innen und viel Ausdauer. Für letzteres ist es durchaus relevant, sich – wie auch beim Aktivismus auf der Straße oder vor dem Schlachthof – selber zu schützen und fit zu halten.

Neben Kapitalismus, Lobbyismus und sehr geringer Beteiligung von Tierrechts-/Tierbefreiungsaktivist*innen gibt es weitere Gründe für den Status Quo. Um einige zu nennen: So häufig gibt es gar nicht Tierrechts-/Tierbefreiungsgruppen/NGOs, die politisch aktiv sind und Forderungen unterbreiten und mit Politiker*innen das Gespräch suchen. Notwendig wäre sicher mehr als eine E-Mail zum Kampagnenabschluss. Selbst wenn z. B. die*der tierschutzpolitische Sprecher*in einer Fraktion überzeugt wäre, es müssten auch weitere Mitglieder vom AK Ernährung/Landwirtschaft einer Fraktion und dann die ganze Fraktion überzeugt werden. Je stärker die „Revolution“ sein soll, umso mehr Zeit muss in diese Arbeit fließen. Wer als Abgeordnete*r etwas ändern will, ist auf dauerhaften Druck angewiesen. Hilfreich sind sicher auch funktionierende Beispiele oder eine wissenschaftliche Studie zum jeweiligen Thema. Abgeordnete*r betreuen neben ihrem Wahlkreis drei bis vier Themen. Mit einer geringen Personalunterstützung ist es schwierig, neben dem regulären Diskurs auch bei komplexeren Sachverhalten auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Und vergessen wir nicht, um Abgeordnete zu werden, ist Ausdauer und Macht gefragt, eher selten ein kritisches Reflexionsvermögen. Nicht alle unsere Ideen funktionieren heute politisch-praktikabel in relevantem Maßstab.

Manchmal schreiben Parteien ein bis zwei Jahre an ihrem Wahlprogramm, bevor es veröffentlicht wird. Dann fragen NGOs mit ihren Wahlprüfsteinen an, die neben Transparenz auch Druck erzeugen sollen. Parteien können aber nach ein bis zwei Jahren mit (teilweise katastrophalen) Beteiligungsprozessen nicht ihr Programm ändern. Hier muss also sehr viel früher angesetzt werden, da Wahlprogramme besonders bei etwaigen Koalitionsverhandlungen von zentraler Bedeutung sind. Forderungen, die nicht im Wahlprogramm enthalten sind, können so gut wie nie in Regierungsprogramme gelangen.

Rezepte für Veränderung

Tierschutz ist im Wesentlichen eine Gerechtigkeitsfrage. Wir leben allerdings in einem System, in dem die Frage, was für Tiere angemessen erscheint, an Profiten gemessen wird. Bezahlbarkeit und Profitabilität entscheiden viel mehr über Gesetze als ethische und soziale Erwägungen. Die Wissenschaft spielt dabei ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Weder bei den Mindestanforderungen noch beim Umwelt- und Seuchenschutz werden wissenschaftliche Erkenntnisse ernst genommen. Stattdessen streitet die Politik für und mit der Tierindustrie darüber, wie am besten möglichst wenig verändert wird. Der Diskurs ist dabei unabhängig von den Wünschen der Bevölkerung, die beispielsweise Käfighaltung mit großer Mehrheit ablehnen. Politik und Tierindustrie einigen sich dann auch auf Wörter wie Tierwohl, artgerecht und tiergerecht, welche alle Begriffe sind, die für “verbesserte Ausbeutung” stehen. Die Erfahrung zeigt dabei klar, dass viele Politiker*innen sich diese Begriffe achtlos aneignen und deshalb nicht mehr sehen, dass es sich um Marketingtricks handelt, die vor allem die Akzeptanz in der Bevölkerung stärken sollen und der Industrie einen Tierschutzanstrich verpassen. Klar ist auch, es gibt kaum starke Orgas, die dies kritisieren oder andere Begriffe etablieren.

Parteien in Deutschland sind relativ konservativ, was dazu führen kann, dass wir als Parteimitglieder manchmal schräge Blicke von progressiv eingestellten Menschen bekommen. So richtig als Partner*in und Kraft wird parlamentarische Arbeit im Tierschutz leider nicht wahrgenommen. Tierbefreiung und Politik erscheinen wie zwei getrennte Welten, obwohl es natürlich Überschneidungen und Kooperationen gibt. Noch immer unterschätzen viele Politiker*innen, wie viele Mitglieder und aktive Organisationen wir in unserem Bereich haben. Andererseits wirken Parteien und die darin stattfindenden Prozesse für viele Menschen, die sich nicht selbst parteipolitisch engagieren, intransparent. Beides ist zwar traurig, bedeutet jedoch enormes Ausbaupotential für die Zukunft.

Es gibt eigentlich keinen Grund, warum wir nicht genauso stark sind wie andere Interessengruppen. Parteipolitikverdrossenheit bringt uns an dieser Stelle keinerlei Fortschritt für Tierleben, auch wenn sie verständlich ist angesichts der herrschenden Verhältnisse. Wenn wir effektiver und entschlossener gegenüber den Parteien auftreten und diese nicht von vornherein ausschließen, können wir mehr erreichen – insbesondere natürlich, wenn wir selbst Teil von Parteien werden und auf diese auch intern Druck ausüben, über die bisherige lobbykonforme Reformpolitik hinauszugehen.

Die Geschichte bisheriger Reformversuche zeigt vor allem drei Dinge:

  1. Reformen dienen oft marktwirtschaftlichen Zwecken und nur manchmal den Menschen. So wurde z. B. das Betäuben vor der Schlachtung vor ca. 100 Jahren in den USA eingeführt, um Schäden an der „Ware“ und Verletzungen der Schlachter durch die verzweifelt zappelnden und um sich tretenden Tiere zu vermeiden.
  2. Zudem führen Reformen meistens von einer Ausbeutungssituation in eine andere – beispielsweise hat die Kennzeichnung von Eiern mit den entsprechenden Verordnungen Legehennen von kleinen Gruppen in engen Käfigen in riesige Gruppen auf engstem Boden überführt.
  3. Zumeist dienten die bisherigen Reformen auch der Gewissensberuhigung der Konsument*innen und verfestigen damit das Ausbeutungssystem.

Eine konsequente Politik der Veränderung – wie die hier diskutierte revolutionäre Realpolitik – kann hingegen aus dem, was für die meisten Menschen jetzt Normalität ist, eine neue Normalität erschaffen. Es entsteht beispielsweise ein gesellschaftlicher und politischer Konsens, dass Qualzuchten schon jetzt nicht mehr mit dem Tierschutzrecht vereinbar sind. Eine entsprechende Initiative zur Identifikation von Qualzuchten erweitert mittlerweile ihren Skopus von den klassischen Haustieren auf landwirtschaftlich genutzte Tiere. Ein konsequentes Verbot von Qualzüchtungen jeder Art hat zur Folge, dass zukünftig viele Unterarten von Milchkühen, Mastschweinen und Geflügel nicht mehr legal gezüchtet und gehalten werden dürfen. Noch sind Puten und Hühner, die nach wenigen Monaten ihr eigenes Gewicht nicht mehr tragen können, genauso normal wie Schweine mit zusätzlich angezüchteten Rippen oder sogenannte Turbomilchkühe. Mit der politischen Umsetzung entsprechender klarer Regeln könnten solche zum Leiden geborenen Tiere komplett verschwinden.

Grundlegender wäre die Einführung einer “tierlichen Person”, denn noch immer sind Tiere keine Rechtssubjekte, sondern Rechtsobjekte, die zwar einen besonderen rechtlichen Schutz genießen, aber besessen, gehandelt und getötet werden dürfen. Eine neue Kategorie für tierliche Personen würde ihnen zwar zunächst keine neuen Rechte geben, wäre jedoch ein wichtiger und sogar unerlässlicher Türöffner für ein Recht auf ein würdevolles Leben ohne physische und psychische Gewalt für alle unsere Mitgeschöpfe.

Letztendlich wird nur eine Politik zusammen mit einer Gesellschaft, die Tierrechte und Tierbefreiung als unerlässliches öffentliches Gut ansieht und implementiert, unser Ziel einer gerechten Gesellschaft realisieren. Nur Gesellschaften, in denen alle frei sind, sind wirklich frei und erschaffen die Bedingungen für Gerechtigkeit auf allen Ebenen, sei es Klima-, Geschlechter- oder Speziesgerechtigkeit. Viele soziale Fragen lassen sich damit lösen, dass das Recht des Stärkeren an keiner Stelle unserer Zivilisation mehr Anwendung finden darf. Mittlerweile wurde leider dieses System auf den gesamten Planeten ausgeweitet – globalisiert und kolonialisierend – und auch hier beutet der stärkere Norden den schwächeren Süden mit katastrophalen Folgen aus.

Ausbeutungssysteme, basierend auf diesem Recht des Stärkeren, werden immer versuchen, für den kurzfristigen Profit die planetaren Grenzen zu überschreiten (Raworth 2018). Der Anfang der landwirtschaftlichen Nutzung von Tieren war sicher ein Meilenstein in der systematischen Genese der sozialen Ungerechtigkeit und somit des Unrechts (Mason 1993). Nicht umsonst leitet sich die Bezeichnung der Wirtschaftsform des Kapitalismus von dem altlateinischen Wort für den Kopf eines Rindes her, da Herden früher den prominentesten Teil nicht-kommunalen Besitzes darstellten. Die Ausbeutung von Artgenossen, anderen Spezies und den natürlichen Ressourcen unseres Planeten gefährdet letztendlich unser aller Existenz auf dem Planeten. Ob Klimawandel, zoonotische Krankheiten oder multiresistente Keime, die landwirtschaftliche Nutzung von Tieren und der damit verbundene Futteranbau können nicht nachhaltig betrieben werden.

Wenn die Politik – gestützt durch Wissenschaft und Ethik – klare Instrumente zum Schutz öffentlicher Güter etabliert, welche sowohl unsere Umwelt als auch alle Lebewesen umfassen, kann es gelingen, dass eine pflanzliche Ernährung genauso normal wird wie das Wahlrecht für Frauen. Die (Aus-)Nutzung von Tieren wird uns dann genauso absurd vorkommen wie alle anderen Formen der Diskriminierung zwischen Menschen. Dafür sind wir parteiisch.

Quellen:
  • Lagi M, Bertrand KZ, Bar-Yam Y (2011): The Food Crises and Political Instability in North Africa and the Middle East. arXiv:1108.2455.
  • Mason J (1993): An Unnatural Order – The Roots of Our Destruction of Nature. Simon and Schuster, New York.
  • Nepstad D, McGrath D, Stickler C, Alencar A, Azevedo A, Swette B, Bezerra T, DiGiano M, Shimada J, da Motta RS, Armijo E, Castello L, Brando P, Hansen MC, McGrath-Horn M, Carvalho O, Hess L (2014): Slowing Amazon deforestation through public policy and interventions in beef and soy supply chains. Science 344(6188):1118–1123.
  • Raworth K (2018): Die Donut-Ökonomie – Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. Carl Hanser, München.
  • Searchinger TD, Wirsenius S, Beringer T (2018): Assessing the efficiency of changes in land use for mitigating climate change. Nature 564:249–253.
Appendix: Parteistrukturen der Autor*innen

Im Folgenden stellen wir kurz die relevanten Strukturen der drei Parteien vor, in denen wir tierpolitisch arbeiten.

Robert Porzel: Bundesarbeitsgemeinschaft Tierschutzpolitik (Bündnis 90/Die Grünen)

Bündnis 90/Die Grünen sind von Anfang an als eine basisdemokratische Partei angelegt worden. Alle Beschlüsse der Bundes- und Landesdelegiertenkonferenzen (BDK/LDK) sind für alle Parteiorgane, wie zum Beispiel den Bundesvorstand oder die Landesvorstände, verbindlich. Antragsberechtigt ist jedes Parteimitglied. Eine besondere Stellung haben zusätzlich die Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften (LAG/BAG). Sie bilden den Kern der inhaltlichen Ausrichtung der Partei und liefern als “Think Tanks” Informationen an die Fraktionen und Gremien. Diese Arbeitsgemeinschaften sind offen für alle und eine Parteimitgliedschaft ist nicht Voraussetzung zur Mitarbeit. Auch in der BAG Tierschutzpolitik sind wir ein bunter Haufen aus Tierärzt*innen, NGO-Vertreter*innen und thematisch interessierten Menschen, von denen ungefähr die Hälfte nicht in der Partei sind, aber genauso mitarbeiten wie wir Parteimitglieder. Durch Anträge auf Bundes- und Landesdelegiertenkonferenzen konnten wir inhaltliche Positionen zu Themen wie Schlachtung, Tiertransport oder zur Förderung pflanzlicher Ernährung einbringen und beschließen lassen. Ein Überblick über Positionspapiere und Beschlüsse der BAG sind hier zu finden: https://gruene-bag-tierschutzpolitik.de/startseite/

 

Didem Aydurmus: Parteivorstand (DIE LINKE)

Parteien sind nicht alle gleich aufgebaut. DIE LINKE hat zum Beispiel einen ehrenamtlichen Bundesvorstand, der zwischen den Parteitagen das höchste Gremium darstellt. Dort gibt es verschiedene Zuständigkeiten, und die Zuständigkeit Tierschutz fällt gerade in vegane Hände, meine. Das gibt natürlich andere Möglichkeiten. Damit ist im Fall der LINKEN die Zusammenarbeit zwischen Parteivorstand und Bundesarbeitsgemeinschaft Tierrechte ziemlich gut. Die BAG Tierschutz und Tierrechte ist eine Arbeitsgruppe auf Bundesebene, bei der alle eingeladen sind, mitzuarbeiten. Alle Themen, bei denen Tiere vorkommen, gehören zum Aufgabengebiet. Neben der BAG gibt es auch noch die 1994 gegründete Ökologische Plattform (ÖPF) sowie die BAG Klimagerechtigkeit, die beide auch zu einigen Themen, etwa Artenvielfalt und Landwirtschaft arbeiten.

Wie alle anderen Gruppen auch, braucht es die aktive Teilnahme ihrer Mitglieder. BAG Tierrechte und ÖPF waren bei der letzten Bundestagswahl dafür verantwortlich, dass wir ein weitgehendes Tierkapitel hatten. So oder so müssen wir uns bewusst werden, wie viel tatsächlich an einzelnen Personen hängt und wie sehr engagierte Tierechtler*innen in Parteien einen Unterschied machen können. Ich persönlich habe Worte wie „tiergerecht“ und „artgerecht“ aus unseren Programmen gestimmt und zuletzt die Forderung nach einem Ausstiegsprogramm aus der Tierhaltung im Parteivorstand einstimmig durchgesetzt. Aufsteigen und in Positionen kommen, Einfluss haben, kann in Parteien übrigens relativ schnell gehen. Ich war noch keine zwei Jahre in der Partei, da wurde ich in den Bundesvorstand gewählt.

 

Stefan Sander: Sozis für Tiere e. V. (SPD)

Progressive Änderungen in der Tierschutzpolitik wird es nur mit Rot-Grün(-Rot) geben. Es ist also sinnig, sich hier einzubringen, um diese voranzubringen. Die SPD hat bekanntere AGs (Jusos, AG60+), ein paar Arbeitskreise etc., ist vor allem aber regional gegliedert. Wir haben uns entschieden, einfach mal als Sozis für Tiere zu machen (2014) und später (2018) einen Verein gegründet, statt viel Zeit und Mühe in die Anerkennung als Arbeitskreis zu stecken. Dies hat erhebliche organisatorische Auswirkungen, die auch regelmäßig hinterfragt werden.

Wir wirken als Pressure-Group, schreiben „interne“ und öffentliche Briefe, machen Diskussionsveranstaltungen mit Politik und Zivilgesellschaft, sprechen mit Abgeordneten, sind mit Infoständen auf Parteitagen, entwickeln Flyer und bieten Bildungsangebote an. Auch vernetzen sich alle Gleichgesinnten und an den Themen wirkenden Aktiven der Sozialdemokratie bei uns. Letztlich hängt es aber, wie an vielen Orten, an einer Handvoll Leuten und jede Unterstützung als Mitglied, vor allem aber Aktive, ist/sind sehr gern gesehen, mit oder ohne Parteibuch.

Nicht zuletzt geht es darum, die Geschichte einer veg*-sozialdemokratischen-Arbeiter*innenbewegung (August Bebel, Rosa Luxemburg, Internationaler Sozialistischer Kampfbund) wiederzubeleben. Wir wollen und müssen mit dieser Transformation Geschichte schreiben.

 

[1] “Solange es Schlachthäuser gibt, wird es Schlachtfelder geben.” Leo Tolstoi (zugeschrieben).