Rückblick

Inhaltsverzeichnis

 

Auftaktveranstaltung im Januar 2021

Das Konzept der Veranstaltungsreihe

Die Auftaktveranstaltung am 13. Januar 2021 markierte den Beginn einer Veranstaltungsreihe unter dem Titel Revolutionäre Realpolitik für die Befreiung der Tiere. Die Reihe soll Impulse geben für Strategiedebatten um die Rolle von Reform und Revolution. Mit einer Mischung aus Vorträgen und Diskussionsformaten wird sowohl Raum für kollektive Bildung als auch für kontroverse Debatten geschaffen.

Über das Jahr 2021 hinweg findet monatlich eine Veranstaltung statt – immer an einem Mittwoch in der Mitte des Monats. Die Veranstaltungen bauen aufeinander auf und sind jeweils einem anderen Schwerpunkt gewidmet:

  1. Quartal 2021: Theorie – Übertragung des Konzepts revolutionärer Realpolitik auf Tierbefreiung
  2. Quartal 2021: Praxis – Voraussetzung und Herausforderungen in der praktischen Anwendung
  3. Quartal 2021: Realitäts-Check – Diskussion konkreter aktuell verfolgter realpolitischer Ansätze
  4. Quartal 2021: Synthese – Quo Vadis?
Auftaktveranstaltung: Vortrag von Friedrich Kirsch

Leider gab es bei der ersten Veranstaltung technische Schwierigkeiten, sodass wir hier keine Aufzeichnung zur Verfügung stellen können.

Die zweistündige Online-Auftaktveranstaltung unter dem Titel Politische Tiergespräche meets Revolutionäre Realpolitik fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe Politische Tiergespräche des tierbefreiungsarchivs statt. Ein Gespräch von Aktiven des Archivs mit Friedrich Kirsch über das Konzept der revolutionären Realpolitik und dessen Anwendung auf die Tierbefreiungsbewegung bildete den Einstieg. An dieser Stelle wird auf eine Zusammenfassung des Vortrags von Friedrich Kirsch verzichtet und stattdessen auf den Beitrag in der Ausgabe 109 des Magazins TIERBEFREIUNG verwiesen, der dessen Grundlage bildete.

Erste Diskussionen und Kontroversen

Ausgehend von dem Vortrag ergab sich zunächst eine Fragerunde und anschließend eine offene Diskussion mit den rund 100 Teilnehmenden der Online-Veranstaltung. An dieser Stelle kann die Diskussion nicht vollständig zusammengefasst werden, zumal es keine Aufzeichnung bzw. Mitschrift gibt. Vielmehr werden einzelne Diskussionsstränge angerissen.

Aus den Redebeiträgen wurde erkennbar, dass Menschen aus den verschiedenen Tier*-Bewegungen vertreten waren und es eine große Bandbreite hinsichtlich Strategien und insbesondere des Verhältnisses zu Reformen gibt.

Ein zentraler Diskussionspunkt war die Frage, wie eine praktische Anwendung des Konzepts konkret aussehen könnte, insbesondere im Hinblick auf eine Abgrenzung zu reformistischen Positionen und hier vor allem zum Konzept des modernen Tierschutzes beziehungsweise New Welfarism. Insbesondere gab es Kontroversen zu einzelnen, bereits bestehenden Forderungen einzelner Strömungen der Tier*-Bewegungen, etwa in Bezug auf Tiertransporte oder der Schlachtbetäubung. Während einerseits gegen Tierausbeutungs-Reformen vorgebracht wurde, dass diese das System der Ausbeutung stützten, wurde andererseits gegen eine pauschale Ablehnung von Tierausbeutungs-Reformen argumentiert, dass diese effektiv einem Verelendungsansatz entspräche, die unsolidarisch mit den ausgebeuteten Tieren sei und außerdem konstruktive Gegenvorschläge vermissen ließe. Dabei wurde auch der Blick auf andere Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen gerichtet, konkret auf Frauenmorde. Während einerseits darauf verwiesen wurde, dass hier eben auch nicht für humanere Frauenmorde demonstriert würde, wurde andererseits klargestellt, dass es neben der Forderung nach einer kompletten Überwindung des Patriarchats durchaus Forderungen für die Finanzierung von Frauennotunterkünften, für einen öffentlichen Diskurs und Datenerfassung über Frauenmorde und vieles mehr gebe, da es eben nicht ausreiche, auf „gesellschaftliches Umdenken“ zu warten.

Auch wurde im Rahmen der Diskussion die Rolle des Staates sowie konkret parlamentarischer Demokratie und Parteien aufgeworfen. Bei diesem Thema zeigte sich, dass auch diesbezüglich in den Tier*-Bewegungen ein breites Spektrum an Positionen vorzufinden ist. Die Redebeiträge umfassten sowohl Fürsprachen für eine „parlamentarische Opposition“ als auch für eine generelle Ablehnung des Parlamentarismus. Darüber hinaus gab es auch differenzierte Ansichten über die Rolle des Staates bei der Überwindung des mächtigen Kapitalismus und die dafür erforderliche Stärkung der Demokratie und zivilgesellschaftlicher Kontrolle über den Staat.

Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion aufkam und im Rahmen der Auftaktveranstaltung noch nicht vertieft werden konnte, war die Frage, inwiefern nationale Reformen in Deutschland angesichts der Globalisierung überhaupt Wirkung zeigen könnten. Konkret wurde darauf verwiesen, dass Pelzfarmen hierzulande inzwischen zwar in Folge von Reformen weniger profitabel seien, jedoch würde anderswo weiter produziert und hierzulande auch weiter gekauft.

Wir hoffen, in den Folgeveranstaltungen diese und weitere aufgenommene Punkte aufgreifen zu können – und hoffen, an den sehr respektvollen Umgang bei dieser Auftaktveranstaltung anknüpfen zu können.

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Bericht von Februar 2021

Realpolitische Ansätze in den Tier*bewegungen

Auf Youtube findet ihr einen Mitschnitt der Veranstaltung.

In der zweiten Veranstaltung der Reihe Revolutionäre Realpolitik für die Befreiung der Tiere widmeten wir uns Positionen zu Realpolitik innerhalb der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung und der Tierethik. Dazu spürten wir Diskussionen und Kampagnen aus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung nach, um deren Verhältnis zu Realpolitik auszuloten. Da die tierethischen Debatten immer wieder ihren Niederschlag in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung gefunden haben, machten wir auch diese Debatten sichtbar und schauten: Wie standen und stehen Tierethiker*innen zu realpolitischen Ansätzen und Veränderungen?

Vorträge von Dr. Friederike Schmitz (Tierethikerin) und Franziska Klein (Tierbefreiungsaktivistin)

Den Auftakt zur zweiten Veranstaltung machte Dr. Friederike Schmitz mit einem Input zu tierethischen Positionen bezüglich realpolitischer Strategien. Dabei verwies sie darauf, dass viele Tierethiker*innen sich selbst als Teil der Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung sehen. Viele der Fragen, die in der Veranstaltungsreihe thematisiert werden, sind – so Friederike – dabei strategischer Natur. (Tier)Ethische Positionen können für sich genommen jedoch Strategiefragen nicht beantworten, da diese vor allem in der politischen Sphäre bzw. politischen Praxis der Bewegung beantwortet werden müssen und auch empirische Annahmen, z.B. über die Wirkung bestimmter Aktionen, voraussetzen. In ihrer Vorstellung tierethischer Positionen legte Friederike ihren Fokus auf die Theorien des Juristen Gary Francione. Dieser vertritt eine Position, die unter dem Begriff „Abolitionismus“ zusammengefasst werden kann. Friederike stellte drei Punkte vor, die sich den Fragen nach Abolitionismus und Reformismus widmen, die wiederum auf Ziele und Strategien der jeweiligen Positionen verweisen. Eine erste vorgestellte Position sieht Reformismus sowohl als Strategie als auch als Ziel. Diese Position kann dem klassischen Tierschutz zugeordnet werden. Die radikale Gegenposition ist die des Abolitionismus, die sowohl auf der strategischen Ebene als auch bei der Zielsetzung die Abschaffung der Tiernutzung fordert. Eine dritte Position versucht, diese beiden Standpunkte (scheinbar) zu versöhnen und wird als „New Welfarism“ oder „Neuer Tierschutz“ bezeichnet. Diese Position hat die Abschaffung der Tiernutzung als Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, werden jedoch aus strategischer Perspektive (Tierschutz)Reformen genutzt.

Der Schwerpunkt des weiteren Vortrags lag dann auf der Gegenüberstellung von Abolitionismus und Neuem Tierschutz. Dabei ging Friederike vor allem auf zwei Streitpunkte ein: Zum einen auf die Gegenüberstellung von ethischem Anspruch und politischem Pragmatismus, zum anderen auf die Frage, was Tierschutzreformen für nichtmenschliche Tiere und das Ziel der Abschaffung von Tiernutzung bringen. Beim ersten Streitpunkt stellte Friederike die Positionen von Gary Francione vor. Grob zusammengefasst lässt sich seine Position zusammenfassen mit: Wenn Tiere moralisch relevant sind, dann müssen Menschen, für die dies gegeben ist, vegan werden. Die Bewerbung des Veganismus ist daher die Hauptaufgabe der Tier*bewegungen, so zumindest Francione. Dabei stellt Francione diese Forderungen in den Kontext zu anderen Befreiungsbewegungen, wie beispielsweise der Bewegung für die Abschaffung der Sklaverei. Auch hier hätten die historischen Abolitionist*innen keine bessere Sklaverei gefordert, sondern deren Abschaffung. Friederike stellte jedoch heraus, das ethische Prinzipien noch keine politische Strategie bestimmen können. Ebenfalls wurde darauf verwiesen, dass eine Verbesserung für nichtmenschliche Tiere auch ein ethisches Gebot sein kann. Daher kann an dieser Stelle die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Tierschutzreformen, sofern sie Tierleid tatsächlich mindern und die Bewegung dem Ziel der Abschaffung der Tiernutzung näherbringen, nicht grundsätzlich abgelehnt werden sollten. Dies führt auch zum zweiten von Friederike vorgestellten Streitpunkt.

Welchen Effekt haben (Tierschutz-)Reformen? Lindern sie Tierleid und bringen sie die Tier*bewegung dem Ziel der Abolition der Tiernutzung näher? Die Pro-Position zur Nutzung von Tierschutzreformen als strategisches Mittel ist dabei, dass diese Reformen Tierleid in gewissen Bereichen der Tiernutzung tatsächlich vermindern. Dagegen spricht die Position, dass Reformen grundsätzlich nur minimale Verringerungen des Leids der Tiere ermöglichen können und das System der Tiernutzung nicht grundlegend infrage stellen. Auf diese Weise könnten sie das System sogar stabilisieren und so langfristig gesehen eventuell das Leid der Tiere erhöhen. In Bezug auf die Sphäre der Produktion kann argumentiert werden, dass einige Reformen die Produktion von „Tierprodukten“ verteuern und dadurch wirtschaftliche Einbußen auf Seiten der Unternehmen erreicht werden könnten. Dagegen spricht, dass viele der bisher im Bereich Tierschutz angestrebten und durchgesetzten Reformen Tiernutzung effizienter mach(t)en. Auf einer gesellschaftlichen Ebene kann argumentiert werden, dass die Reformen beziehungsweise die Kampagnen zu diesen Reformen die Bevölkerung für „Tier-Themen“ sensibilisieren. Dagegen spricht, dass solche Kampagnen den Eigentumsstatus von nichtmenschlichen Tieren nicht infrage stellen würden und diesen dadurch verfestigen können.

Grundlegend stellte Friederike fest, dass die Debatte um die Nutzung von Reformen vor allem an zwei Fragen krankt, die nicht oder zu wenig diskutiert würden:

  1. Um welche Reformen und Kampagnen geht es genau?
  2. Wie ist das Kosten/Nutzen-Verhältnis solcher Reformen beziehungsweise Kampagnen und können die dafür aufgewendeten Ressourcen sinnvoller genutzt werden?

Anschließend an den Input zu tierethischen Positionen gab die langjährige Aktivistin Franziska Klein einen Einblick in die Debatten rund um Realpolitik innerhalb der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Dabei wurde in die Geschichte der Tierbefreiungsbewegung geschaut, um aufzuzeigen, welche Entwicklungen sich innerhalb der Bewegung abzeichneten. Grundlegend entstand die Tierbefreiungsbewegung in den 1980er Jahren in Opposition zum klassischen Tierschutz – der Grundtenor der Tierbefreiungsbewegung lautete dabei, keine größeren Käfige zu fordern, sondern deren Abschaffung. Im Fokus der entstehenden Tierbefreiungsbewegung standen damals Themen wie Pelz, Jagd, Pferderennen und darüber hinaus auch Fleisch und Eier. Der Veganismus sollte dann ab den 1990er Jahren ein Thema innerhalb der Bewegung werden. Die Tierbefreiungsbewegung sah (und sieht) sich als Teil einer größeren linken Bewegung. Sie war vor allem in den 1980er und 90er Jahren in Graswurzelgruppen organisiert, welche mit Parlamentarismus und Realpolitik wenig anfangen konnten. Die relativ frühe Gründung der sogenannten Tierschutzpartei war dabei eine Ausnahmeerscheinung. Grundlegend verstand (und versteht) sich die Tierbefreiungsbewegung als Teil einer außerparlamentarischen Opposition gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Die 2000er Jahre veränderten sowohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die Tierbefreiungsbewegung. Das Konzept der „Pressure Campaigns“ nahm Einzug in die Bewegung. Dies sind zielgerichtete Kampagnen, die Druck auf ein Unternehmen oder eine Branche ausüben. Auf internationaler Ebene war es vor allem die Kampagne „Stop Huntingdon Animal Cruelty“ (SHAC), die gegen das Tierversuchslabor Huntingdon Life Science vorging. In Deutschland wurde diese Strategie unter anderem von der „Offensive gegen die Pelzindustrie“ übernommen. Grundlegend sollte öffentlicher und ökonomischer Druck ausgeübt werden, der eine Firma oder eine Branche dazu bewegen sollte, aus ihren Geschäften mit Tierausbeutung auszusteigen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden auch Strategiedebatten geführt, beispielsweise zu den Themen Vegan Outreach, Pressure Campaigns, Öffentlichkeitsarbeit und Reformen. Ein Konsens in der Bewegung schien es zu sein, dass Reformen nicht gefordert werden, sondern allenfalls als Mittel zum Zweck begrüßt wurden, wenn sie beispielsweise die Ausbeutung von Tieren wirtschaftlich erschwerten oder verhinderten. Reformen wurden (und werden) also mehr als strategisches und taktisches Mittel angesehen. Während zu Beginn der Bewegung der Veganismus kein oder nur ein Randthema war, rückte dessen Verbreitung vor allem in den 2010er Jahren in den Fokus der Bewegung. Die Veränderung von Individuen war eines der Ziele der Bewegung – so viele Menschen wie möglich sollten vegan werden. Dies blieb aber nicht ohne Kritik aus der Bewegung. Die Vermarktung des Veganismus als Lifestyle wurde vor allem von linken Tier*aktivist*innen kritisiert und davor gewarnt, dass diese Idee durch den Kapitalismus vereinnahmt werden könnte. Der Fokus lag also auf der „Veganisierung“ von Konsument*innen. Jedoch gab es eine parallele Entwicklung, die auch die ökonomischen, kulturellen und sozialen Verhältnisse im Blick hatte. So gab (und gibt) es Kampagnen gegen Player der Fleisch- bzw. Tierindustrie. Diese reichten vom Schreiben von Einwendungen gegen Neubauten von Tierfabriken bis zu Besetzungen von Bauplätzen und direkten Aktionen (bis hin zu Brandanschlägen). Die Forderung nach Reformen als realpolitisches Moment fand jedoch auch in dieser Phase nicht statt. Der abolitionistische Anspruch blieb Kern der Ideen der Tierbefreiungsbewegung. Weiterhin war es die Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen, die von Aktivist*innen angestoßen wurde. Hier versuchten Aktivist*innen der Tierbefreiungsbewegung, die politisierte Tierfrage in den Kontext anderer Kämpfe einzubinden. Eine weitere Veränderung ging auf der Ebene der Organisation der Bewegung vonstatten. Es gründeten sich größere Vereine, die zum Teil einen abolitionistischen Anspruch hatten und haben, sich aber dem Werkzeug von Tierschutzreformen bedienten – auch im Bereich der Zusammenarbeit mit Firmen: Waren die tierausbeutenden Betriebe in den Pressure Campaigns Ziel der Arbeit der Tierbefreiungsbewegung, wurden sie nun von einigen NGOs als Kooperationspartner*innen angesehen.

Grundlegend war über den gesamten Zeitraum der bisherigen Bewegungsgeschichte klar: Tierschutzforderungen zu stellen ist ein No-Go! Es gab und gibt aber durchaus einige Diskussionen innerhalb der Bewegung über Strategien und Taktiken. So wurde angemerkt, dass die Undercover-Recherchen ein wichtiges Mittel sind, um Tierausbeutung sichtbar zu machen, jedoch muss die Frage gestellt werden, wie Medien auf diese Bilder reagieren. Häufig werden vor allem die Verstöße gegen das Tierschutzgesetz von Medien thematisiert. Hier steht die Frage im Raum, wie Aktivist*innen nach außen kommunizieren können, um den Tierbefreiungsanspruch medial zu vermitteln. Die Frage nach Bündnispartner*innen – auch über Bewegungsgrenzen hinweg – ist ebenfalls zu diskutieren.

Die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und auch die veränderte Tierbefreiungsbewegung könnten jedoch dazu führen, dass die Fragen nach (revolutionär-) realpolitischen Ansätzen neu gestellt werden sollten, um auf die Veränderungen zu reagieren. Ein weiterer Punkt, auf den Franziska einging, ist, dass die immer noch bestehenden Graswurzelgruppen der Tierbefreiungsbewegung als Korrektiv der größeren NGOs auftreten sollten, damit die Tierbefreiungsbewegung nicht zum Handlanger der Tierindustrie wird.

Bericht von der Diskussion

Eine erste Frage war die nach der gegenseitigen Beeinflussung von tierethischen Debatten und Tierbefreiungsideen. Beide Referent*innen gingen darauf ein, dass es durchaus eine gegenseitige Beeinflussung gab, wobei die komplexen tierethischen Theoriegebäude nicht zwingend in die Kampagnen der Tierbefreiungsbewegung Einzug fanden. Vielmehr waren es die eingängigen Grundannahmen der Tierethik (wie „Tiere sind leidensfähige Individuen“), die von der Tierbefreiungsbewegung und in ihren Kampagnen herangezogen wurden. Außerdem gebe es Ethiker*innen und andere Akteur*innen im Bereich der Human-Animal Studies, die die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung mit ihren Ideen beeinflussen möchten, so beispielsweise Minding Animals – ein Forschungsnetzwerk, welches sich an der Schnittstelle von Forschung und Aktivismus bewegt – oder Sue Donaldson und Will Kymlicka, die versuchen, das Konzept der Bürgerrechte auch auf nichtmenschliche Tiere anzuwenden.

Die nächste Frage bezog sich auf Räume, in denen Strategiefragen debattiert werden konnten. Beide Referierende gingen darauf ein, dass es immer wieder Diskussionen um die strategische Ausrichtung auf Veranstaltungen der Tierbefreiungsbewegung gab. Friederike ging ebenfalls darauf ein, dass es in den letzten Jahren immer wieder Debatten über Strategien gab, diese jedoch häufig oberflächlich geführt wurden. Dabei kam eine Anschlussfrage auf, die bereits in der ersten Veranstaltung angesprochen wurde: Wie lassen sich Erfolge einer sozialen Bewegung messen? Friederike machte deutlich, dass es schwierig ist empirische Daten zu finden, die auf Erfolg oder Misserfolg einer Kampagne verweisen, gerade wenn das Ziel eine größere Gesellschaftsveränderung ist und nicht bloß ein bestimmtes Gesetz oder ähnliches. Sie stellte fest, dass die von Friedrich Kirsch entwickelten Kriterien einen ersten guten Ansatz liefern können, inwieweit eine Kampagne der Tierbefreiungsbewegung Erfolg bringen könnte, wobei die Kriterien dabei noch geschärft werden müssen. Dieser Frage soll sich die Märzveranstaltung annähern.

Eine dritte Frage bezog sich auf den Forderungskatalog des Bündnis für gesellschaftliche Tierbefreiung und die damit verbundene Schwerpunktsetzung. Einerseits wurde angemerkt, dass es Bedenken gibt, einem Thema (z.B. Nutztierhaltung) mehr Gewicht zu verleihen als anderen (z.B. Zoos). Weiterhin stand die Frage im Raum, ob es sinnvoll ist, Argumente bzw. Themen aufzugreifen, die nicht zwingend einen Tierbefreiungsanspruch haben, wie Klimawandel oder Zoonosen. Friederike meinte dazu, dass es immer eine Schwerpunktsetzung in der politischen Arbeit gibt. Dadurch werden zwar einige Themen nicht angegangen, aber die politische Arbeit ist abhängig von zeitlichen Ressourcen der Aktivist*innen, die sich womöglich nicht auf „alles“ beziehen können. Weiterhin sieht Friederike es nicht zwingend als Problem, Argumente zu nutzen, die andere Problemlagen, die auch im Kontext von Tierausbeutung stattfinden, zu thematisieren. Außerdem wurde ergänzt, dass die Themen Klimawandel oder Zoonosen nicht nur anthropozentrisch gedacht werden können, da auch sie Auswirkungen auf unglaublich viele nichtmenschliche Spezies haben. Franziska beantwortete die Frage, indem sie darauf hinwies, dass das Bündnis für gesellschaftliche Tierbefreiung beispielsweise auch das Thema Zoo aufgriff, wobei es durchaus einen Fokus auf umfassendere Themengebiete, z.B. die Fleischindustrie, gab.

Die nächste Frage widmete sich der Vermittlung von Inhalten der Tierbefreiungsbewegung in einem pädagogischen Kontext: Inwieweit wurde oder wird die politische Bildungsarbeit als eine Strategie der Tierbefreiungsbewegung angesehen? Projekte, wie der Mensch Tier Bildung e.V. gehen diesen Weg explizit und versuchen, die Fragen nach Mensch-Tier-Verhältnissen in den Bildungskontext einzubringen, indem sie beispielsweise Workshops an Schulen oder in anderen Bildungseinrichtungen anbieten. Aber auch innerhalb der Bewegung wurde immer wieder über die Vermittlung von Inhalten auf Aktionen diskutiert, so beispielweise, wenn bei Zirkusaktionen extra Flugblätter und weiteres Infomaterial für Kinder erstellt und verteilt wurden.

Inwieweit realpolitische Werkzeuge, wie das Schreiben von Einwendungen gegen neue Tieranlagen, genutzt wurden und werden, war die nächste Diskussionsfrage. Die beiden Referent*innen betonten, dass die Nutzung solcher Werkzeuge kaum strittig debattiert wurde und sie als das, was sie sein können – Werkzeuge zur Verhinderung von Tieranlagen –, von Akteur*innen der Tierbefreiungsbewegung genutzt werden; auch wenn sich dabei inhaltlich unter anderem auf eigentlich unzureichende gesetzliche Tierschutzvorgaben „positiv“ bezogen wird.

Eine letzte Diskussionsfrage steuerte noch einmal in eine andere Richtung und stellte die Frage nach der zukünftigen strategischen Ausrichtung der Tierbefreiungsbewegung: Ausgehend von der Feststellung, dass in den letzten Jahren vermehrt das Thema Fleisch und somit die Fleischindustrie in den Mittelpunkt der Kritik der Tierbefreiungsbewegung geriet, stellte sich die Frage, wie gegen eine solche, wirtschaftlich und politisch stark geförderte und etablierte Branche vorgegangen werden kann. Aufgrund der momentanen Kräfteverhältnisse scheinen Pressure Campaigns, wie sie in den 2000er Jahren genutzt worden waren, nicht mehr zielführend. Wie müsste sich also die Tierbefreiungsbewegung zu Konzepten, wie einer umfassenden Agrarwende, verhalten? Friederike verwies auf momentane Arbeiten des Bündnisses Gemeinsam gegen die Tierindustrie. Momentan arbeitet das Bündnis an einer Studie zur Subventionierung der Tierindustrie. Im Rahmen dieser Studie werden auch Forderungen aufgestellt, die eine Umschichtung von Subventionen fordern. Weiterhin wies Friederike darauf hin, dass es eine Herausforderung für die Tier*bewegungen ist, der Agrarwende die „richtige“ Stoßrichtung zu verleihen. Hierbei scheint die Forderung nach einem Ab- bzw. Rückbau der Tierindustrie eine realpolitische Forderung. Franziska hingegen stellte infrage, ob die Forderung nach dem Rückbau der Tierindustrie zu einer sinnvollen Veränderung führen könnte und ob dieser von der Tierbefreiungsbewegung überhaupt gefordert werden dürfe. Vor allem die Frage, wie solche Forderungen gerahmt werden müssen, um dem Ziel der Abschaffung der Tiernutzung näherzukommen, steht offen im Raum.

Ausblick

Viele der in den ersten Veranstaltungen angeschnittenen Fragen sollen im Laufe des Jahres angesprochen und weiter diskutiert werden. Die große Anzahl der Teilnehmenden an den ersten Veranstaltungen deutet, so unsere Interpretation, jedoch darauf hin, dass eine Strategiedebatte für die Tierbefreiungsbewegung notwendigerweise geführt werden sollte. Wie das Ergebnis dieser Debatten aussieht, ist an dieser Stelle offen. Außerdem hoffen wir, dass die Debatten über die taktische und strategische Ausrichtung der Bewegung erst dann ein Ende finden, wenn die Tiernutzung da steht, wo sie hingehört: In den Geschichtsbüchern!

Gern veröffentlichen wir auch in kommenden Monaten weitere Debattenbeiträge. Schickt uns sehr gerne Artikel zu!

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Bericht von März 2021

Kritische Diskussion des Konzepts revolutionärer Realpolitik für die Befreiung der Tiere

Auf Youtube findet ihr einen Mitschnitt der Veranstaltung.

In den ersten beiden Veranstaltungen der Reihe Revolutionäre Realpolitik für die Befreiung der Tiere hörten wir zunächst eine Einführung in das Konzept der revolutionären Realpolitik und beleuchteten anschließenden, wie der Diskurs in der Tierbefreiungsbewegung und der Tierethik bislang in diesem Bereich aussah. Die dritte Veranstaltung sollte nun konkret dazu dienen, das in der Januar-Veranstaltung vorgestellte Konzept kritisch zu diskutieren. Dafür konnten wir Alan, Michael und Ina als Referent*innen gewinnen:

Alan Schwarz ist in verschiedensten anarchistischen Zusammenhängen aktiv, unter anderem schreibt er für das Magazin TIERBEFREIUNG. Dort hat er in der Ausgabe 110 bereits zwei Texte mit Bezug zu revolutionärer Realpolitik veröffentlicht, auf denen sein Vortrag basierte: Befreiung ist nicht verhandelbar – Kritik der ‚Revolutionären Realpolitik‘, Teil 1 sowie Der Versuch einer radikalen Interpretation revolutionärer Realpolitik – Kritik der ‚Revolutionären Realpolitik‘, Teil 2.

Michael Kohler betreibt eine Radiosendung, die sich mit Tierrechts- und Tierbefreiungsthemen auseinandersetzt und hatte sich ebenfalls bereits im Magazin TIERBEFREIUNG mit dem Konzept der revolutionären Realpolitik auseinandergesetzt: Revolution STATT Reform oder Revolution DURCH Reform?, Beiträge zu revolutionärer Realpolitik in Ausgabe 109.

Ina ist Tierbefreiungsaktivistin und war zwar nicht persönlich bei der Veranstaltung, hatte aber einen Text eingereicht, der für sie vorgelesen wurde. Eine überarbeitete Version des Textes von Ina ist in Ausgabe 111 des Magazins TIERBEFREIUNG und hier auf dem Blog zu finden.

Zusammenfassung der Vorträge

Der Text von Ina bildete den inhaltlichen Einstieg und stellte eine grundlegende Kritik am Konzept der revolutionären Realpolitik für die Befreiung der Tiere dar. Ina argumentierte, dass Reformen grundsätzlich nicht als Beitrag für revolutionäre Zwecke geeignet seien, und insofern das Konzept der revolutionären Realpolitik für das Ziel Tierbefreiung mindestens nicht förderlich, wahrscheinlich sogar aktiv entgegenstehend sei.

Alan knüpfte mit dem ersten Teil seines Vortrags, der auf seinen bereits erschienenen Texten basierte, an diese sehr grundlegende Kritik an Reformen an. Er blieb dabei jedoch nicht stehen, sondern führte davon ausgehend im zweiten Teil seines Vortrags aus, wie eine alternative Interpretation revolutionärer Realpolitik aussehen könnte, die mit Tierbefreiung kompatibel wäre. Für diesen Zweck stellte Alan eine überarbeitete Fassung der Kriterien von Friedrich Kirsch vor, die im Kern aus einer Hochstufung des SOLL-Kriteriums bezüglich der Anschlussfähigkeit für andere progressive Bewegungen zu einem MUSS-Kriterium sowie der Streichung der aus seiner Sicht weichen Kriterien „Leiden der Tiere verringern“ und „Tierausbeutung weniger profitabel machen“ bestand. Davon ausgehend argumentierte Alan, dass ein Einsatz von Reformen, deren Umsetzung den Staat als aktiven Akteur erforderten, inkompatibel sei mit revolutionärer Realpolitik. Als Gegenvorschlag plädierte Alan dafür, an den Köpfen der Menschen anzusetzen und dort die Ausgangslage für eine umfassende Befreiung zu schaffen.

Im Kontrast zu den vorhergehenden Beiträgen von Ina und Alan argumentierte Michael für ein ähnliches Verständnis von revolutionärer (Real-)Politik, wie es Friedrich in der ersten Veranstaltung dieser Reihe vorgeschlagen hatte. Michael motivierte dies insbesondere durch die Klimakrise, die es auch im Sinne des Kampfes für Tierbefreiung zu bekämpfen gälte: Diese erfordere dringende Maßnahmen in den kommenden Jahren, für die es zwangsläufig ein revolutionäres Verständnis von Reformen benötige. Und angesichts der Klimaschädlichkeit der Massentierhaltung liege es auf der Hand, dass die Tierbefreiungsbewegung den Fokus auf diese lege. Das Potential der revolutionären Realpolitik liege dann vor allem darin, die Basis unserer Bewegung zu verbreitern. Zwei vordringliche konkrete Ansätze hat Michael dabei besonders herausgestellt: breite Schulterschlüsse für eine drastische Reduktion der Tierbestände sowie für einen Importstopp von Futtermitteln.

Hinsichtlich der Vorträge belassen wir es an dieser Stelle bei diesen überblicksartigen Zusammenfassungen und verweisen für eine weitergehende Beschäftigung auf den (bald) online veröffentlichten Mitschnitt der Veranstaltung sowie auf die im Magazin TIERBEFREIUNG erschienenen Texte.

Einblicke in die anschließende Diskussion

Die an die drei Vorträge anschließende offene Diskussion drehte sich vor allem um die Frage der Legitimität von Reformen, die auf staatliche Strukturen angewiesen sind. Die Beiträge bewegten sich in einem Spannungsfeld zwischen der Position von Alan und Ina, die jegliche Einlassung auf staatliche Strukturen als autoritäre Mittel und insofern als inkompatibel mit emanzipatorischen Zielen verstehen, und der Position von Michael. Im Folgenden werden einige Beiträge der Diskussion zusammengefasst; die Zusammenfassung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, bei Interesse ist der komplette Mitschnitt der Veranstaltung online verfügbar.

Ein*e erste*r Diskutant*in war von der absoluten Ablehnung von Reformen in vielerlei Hinsicht überhaupt nicht überzeugt. Einen Kritikpunkt führte er*sie dabei konkreter aus: So seien sowohl der Beitrag von Ina als auch der von Alan sehr vage geblieben hinsichtlich der Frage, warum bestimmte Reformen aus welchen Gründen konkret problematisch seien. Der Ansatz von revolutionärer Realpolitik sei es ja gerade, ein differenziertes Verständnis von Realpolitik zu erarbeiten und solche Reformen zu identifizieren, die Wege aus dem System hinaus ermöglichen könnten. So seien etwa Verbesserungen von Arbeitsrechten in der Fleischindustrie, ein Abbau der Tierbestände und Ausstiegsprogramme für Tierhalter*innen konkrete Beispiele, die sowohl möglich seien als auch nicht per se den Kapitalismus oder den Staat stärken würden. Als Erwiderung darauf führte Alan aus, dass es im Kern auf zwei Punkte hinauslaufe: Zum einen, dass es sich bei Reformen immer nur um Abmilderungen handele und damit gangbare Kompromisslösungen in einem Ausbeutungskonstrukt vorgeben würden, die irgendwie nicht so schlimm seien. Zum anderen, dass es sich bei Reformen um autoritäre Mittel handele, mit denen kein anti-autoritäres System herbeigeführt werden könne, sondern dass diese vielmehr den Staat stärkten.

Diese Erwiderung von Alan wurde in der Folge mit mehreren Diskussionsbeiträgen kritisiert. So führte eine Person als Beispiel, dass Reformen nicht zwangsläufig den Staat stützen, den Widerstand gegen die Pelzproduktion an: Die Veränderung der Tiernutzungsverordnung habe zwar an den Verhältnissen dessen, ob Leute den Staat hinterfragen, nicht besonders viel geändert, aber zu einer massiven Einschränkung der Pelzindustrie geführt. Eine absolute Ablehnung jedweder Kooperation mit dem Staat bedeute zu Ende gedacht, dass eine Vielzahl von Betätigungsfeldern sozialer Bewegungen verunmöglicht würde – seien es Kooperation mit Schulen, die Beantragung von Fördermittel oder die Gründung gemeinnütziger Vereine: „Wo bleiben dann die Handlungsspielräume in diesen Verhältnissen, in denen wir eben leben, und verurteilt uns das nicht zu so ineffektiven, dann ganz ideologisch reinen Aktionsformen, die uns überhaupt nicht mehr weiterbringen?“

In einem weiteren Beitrag wurde ergänzt, dass hinter dem Argument, Reformen stärkten das System, eine Verelendungstheorie stecke und es ein Hauptwiderspruchs-Denken sei, in dem es nur einen Akteur gäbe. Dabei gäbe es vielmehr unterschiedliche Privilegien, die es mitzudenken gälte. Insbesondere sei es ja nicht so, dass das System dadurch instabiler würde, weil es etwa Schweinen schlechter gehe. Vielmehr gehöre es zum Kapitalismus, dass auch Tiere abgewertet werden, um die Arbeitenden „billig“ glücklich machen zu können. In der Folge stärke vielmehr Massentierhaltung das System und drehe so das eigentliche, gegen Reformen vorgebrachte Argument um. In ein ähnliches Horn stieß Michael: So hätten alle sozialen Bewegungen auch Forderungen, die unterhalb eines wie auch immer definierten Endziels (beispielsweise „Weg mit dem Kapitalismus“ oder „Weg mit der Herrschaft von Menschen über Menschen“) anzusiedeln seien und somit letztlich Reformen darstellten. Und nur weil Reformforderungen sich häufig an den Staat richteten, hieße das nicht, dass damit das Gewaltmonopol des Staats anerkannt würde. Vielmehr würde der Staat ja mit Forderungen konfrontiert, die seiner Politik entgegengesetzt sind. Demgegenüber würde das Gewaltmonopol des Staats eher dann anerkannt, wenn wir solche Forderungen nicht stellten. Weiter widersprach Michael der Position von Ina und Alan, dass es eine Quadratur des Kreises sei, Reformforderungen aufzustellen, die mit dem Abolitionismus kompatibel seien. Die Frage sei vielmehr, wie erkämpfte Reformen auf die Bewegung zurückwirken, ob sie diese stärkten oder ob eine Befriedung eintrete und damit das bestehende System gestärkt werde. Die Antwort auf diese Frage sei nicht einfach und von vielem abhängig; in jedem Fall sei es von zentraler Bedeutung, sich nicht auf die Kapitallogik einzulassen.

In einem folgenden Redebeitrag stellte Friedrich die von Alan vorgenommene kategorische Einordnung realpolitischer Forderungen an den Staat als autoritäre Mittel infrage. Wenn soziale Bewegungen den Staat unter Druck setzten und ihm so realpolitische Zugeständnisse abrängen, dann bliebe das eine widerständige Handlung und kein autoritäres Mittel. Daraufhin führte Alan aus, dass sein Hauptpunkt sei, dass sich mit Reformen auseinanderzusetzen ineffizient sei und niemanden weiterbringe; vielmehr müsse sich auf die Frage fokussiert werden, wie aus Gegner*innen Kompliz*innen gemacht werden könnten, wie wir Menschen für revolutionäre Ideen öffnen könnten. Ein*e Diskutant*in erwiderte darauf, dass doch klar sei, dass das, was in den Köpfen passiere, durch vielfältige Machtstrukturen beeinflusst werde. Diese Machtstrukturen müssten strukturell angegangen werden und es sei ein Irrtum, dass das ohne Reformen funktionieren könnte.

Gegen Ende ließ ein*e Diskutant*in im Hinblick auf die Rolle von Reformen ihre Erfahrungen als Anarchafeminist*in einfließen. Als solche sei sie geübt darin, Widersprüche zwischen den Ansprüchen und der Notwendigkeit von konkreten Handlungen auszuhalten. So lehne sie den Staat ab und fordere gleichzeitig von selbigem die Abschaffung von §218 StGB (Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen). Vielleicht sei der Unterschied zur Tierbefreiungsbewegung, dass die Betroffenen (zum Beispiel die nichtmenschlichen Tiere in der Landwirtschaft) nicht politische Subjekte dieser Bewegung sein könnten. Die Tierbefreiungsbewegung als eine Bewegung von Menschen für nichtmenschliche Tiere sei also privilegiert und könne sich ausgiebig über Strategien Gedanken machen statt ins Handeln zu kommen. Der Beitrag schloss mit zwei Fragen: Wenn an anarchistischen Tierbefreiungsidealen festgehalten würde, ohne Handlungsräume zu erkämpfen und zu nutzen – ja, auch im System –, würde sich dann nicht der Verantwortung entzogen, die wir als Menschen haben? Und: Ist die Tierbefreiungsbewegung (auch wenn sie intersektional sein will) mit dem Fokus auf Tiere vielleicht in einer zu bequemen Position wegen der Nichtbetroffenheit in Bezug auf Speziesismus?

Fazit und Ausblick

Diese letzten offenen Fragen machten gegen Ende der Veranstaltung deutlich, dass es noch einigen Diskussionsbedarf in der Debatte um die Rolle von Reform und Revolution gibt. Die maßgebliche Kontroverse dieser Veranstaltung bildete die Frage, ob jegliche Einlassung auf staatliche Strukturen dem Ziel Tierbefreiung entgegensteht oder ob auch radikale Reformen zweckdienlich sein können.

Wir hoffen, mit der fortdauernden Veranstaltungsreihe dazu beizutragen, die offenen Fragen weiter zu beleuchten. Wir freuen uns in diesem Sinne über weitere Beiträge – sei es im Magazin Tierbefreiung, auf unserem Debattenblog oder in den Veranstaltungen.

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Bericht vom zweiten Quartal 2021

Nachdem im ersten Quartal einige theoretische Zugänge zum Konzept der revolutionären Realpolitik für die Befreiung der Tiere* diskutiert wurden, widmete sich das zweite Quartal den eher praktischen Ansätzen innerhalb der Tier*bewegungen. Welche Strategien und Taktiken wurden und werden von Aktivist*innen genutzt, um dem Ziel der Befreiung der Tiere* näherzukommen? Diesen Fragen wurde sich sowohl historisch als auch aktuell angenähert.

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April: SHAC, Tierfabriken Widerstand und das Bündnis für gesellschaftliche Tierbefreiung

Ein Mitschnitt zur Veranstaltung folgt eventuell.

Den Auftakt der April-Veranstaltung machte Mela mit einem Input zur Kampagne Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC). SHAC war eine der ersten weltweit agierenden Kampagnen der Tierbefreiungsbewegung. Sie hatte zum Ziel, das Tierversuchsunternehmen Huntingdon Life Sciences (HLS) zu schließen. Während des Inputs legte Mela ihren Schwerpunkt auf die Aktivitäten in den USA und in Großbritannien (UK). Die Kampagne wurde im Jahr 1999 in UK gestartet, wurde schnell in den USA übernommen und anschließend global, auch in Deutschland, unterstützt. HLS war ein Tierversuchsauftragsunternehmen, dessen einziger Geschäftszweck die Durchführung von Tierversuchen für die chemische Industrie, die Pharmazie und weitere Industriezweige war. Die SHAC-Kampagne war ihrem Aufbau nach eine klassische „pressure campaign“, das heißt über Demonstrationen, Aufklärungsarbeit, aber auch zivilen Ungehorsam sollte Druck auf HLS ausgeübt werden. Dabei beschränkten sich die Aktivist*innen von SHAC jedoch nicht nur auf HLS selbst, sondern richteten ihren Protest an verschiedenste Konzerne oder Versicherungen, die mit HLS zu tun hatten. Kam es während der Kampagne zu direkten Aktionen, distanzierte sich das Kampagnen-Organisationsteam nicht von diesen. Dieser Sachverhalt führte wahrscheinlich im Laufe der Kampagne auch zu verstärkten Repressionen gegenüber den Organisator*innen.[1] Im Rückblick stellte Mela fest, dass SHAC eine sogenannte Single-Issue-Kampagne war, die lediglich gegen einen Bereich vorging. Außerdem fehlte den Organisator*innen ein Blick über die Kampagne hinaus, so gab es keinerlei Ideen eines möglichen Erfolges der Kampagne. Weiterhin fehlte eine gesamtgesellschaftliche Analyse durch die Kampagnenorganisator*innen. Andererseits gab es eine gute ökonomische Analyse der Geschäftsbeziehungen von HLS. Diese Analyse machte Teile der Kampagne auch so erfolgreich, da beispielsweise der Börsengang an der New Yorker Börse verhindert beziehungsweise verzögert werden konnte.
Den zweiten Input der Veranstaltung lieferte Sebastian von Tierfabriken-Widerstand (TiWi). TiWi agiert hauptsächlich in Berlin und in Brandenburg nach dem Vorbild der mittlerweile nicht mehr aktiven Gruppe Mastanlagen Widerstand aus Süddeutschland. Grundlegend versucht TiWi, den Neu- und Ausbau von Tierhaltungsanlagen zu verhindern. Dafür recherchieren die Aktiven, wo neue Anlagen gebaut werden sollen. Anschließend werden in der Regel Pressemitteilungen zu dem jeweiligen geplanten Neubau versendet, vor Ort Informationsveranstaltungen durchgeführt und, wenn es bereits bestehende Initiativen gibt, die Vernetzung mit diesen angestrebt. Weiterhin organisiert TiWi Demonstrationen und andere Aktionen. Ein hilfreiches Tool der Arbeit von TiWi ist das Schreiben von Einwendungen gegen die geplanten Anlagen. “Einwendungen” sind ein vom Staat zur Verfügung gestelltes Werkzeug zur Partizipation von Bürger*innen. Es ist ein sehr stumpfes Werkzeug und von den Behörden mehr Pflichtleistung als Interesse an demokratischer Partizipation, jedoch hilft diese einfache Protestform Bürger*innen ohne Protesterfahrung ihre Kritik an geplanten Anlagen formulieren – und das häufige Scheitern dieser hilft, die Relevanz anderer Protestformen zu verdeutlichen. Ein wirklich starkes legales Mittel gegen neue Anlagen ist häufig die Klage nach der offiziellen Genehmigung durch die zuständige Behörde. Das deutsche Recht ist zurzeit so, dass nur direkt Anwohnende und Naturschutzverbände klageberechtigt sind. Daher kooperiert TiWi auch mit letzteren, auch wenn politische Positionen und selbst Ziele hier weit auseinandergehen.
Den dritten Input lieferte Corinna vom Bündnis für gesellschaftliche Tierbefreiung (BfgT). Das BfgT wurde im Jahr 2020 im Rahmen der Corona-Pandemie gegründet, um Forderungen aus der Tierbefreiungsbewegung zu formulieren und nach außen zu tragen. Seit April 2020 trafen sich Aktive aus verschiedenen Zusammenhängen der Tier*bewegungen und besprachen die Ausformulierung eines Forderungskataloges. Der Katalog setzte sich aus Forderungen zusammen, die sich einerseits direkt auf die Pandemiesituation bezogen und die andererseits auf allgemeine Veränderungen des bestehenden Mensch-Tier-Verhältnisses abzielten. Insgesamt wurden 40 Forderungen in neun Kategorien ausgearbeitet und veröffentlicht. Der ausgearbeitete Forderungskatalog sollte auch für andere emanzipatorische Bewegungen anschlussfähig sein. Als Zielgruppen machte das BfgT sowohl die Gesellschaft im Allgemeinen als auch parlamentarische Akteur*innen im Besonderen aus. Leider agierte das Bündnis nur in einem kurzen zeitlichen Verlauf, aber allein der Prozess der Erstellung des Kataloges mit vielen, zum Teil sehr unterschiedlichen Akteur*innen wurde von Corinna als Erfolg verbucht.

Die Diskussion im April
In der Diskussion wurden vielfältige Fragen diskutiert. Um den Rahmen eines Rückblicks nicht zu sprengen, werden hier nur einige Diskussionspunkte aufgegriffen.
Eine erste Frage an die Referierenden war, ob es einen Widerspruch gibt zwischen dem eigenen emanzipatorischen Tierbefreiungsansatz und der eigentlichen (politischen) Arbeit der Kampagnen oder Bündnisse. Für SHAC stellte Mela heraus, dass die Kampagne keinen emanzipatorischen Ansatz verfolgte und lediglich das Ziel der Schließung von HLS im Fokus stand. Die Aktionsformen und Zielgruppen wurden nicht von den Organisatior*innen der Kampagne vorgegeben, daher konnten verschiedene Akteur*innen mit unterschiedlichen Zielgruppen unter dem Dach der Kampagne agieren. Für TiWi konstatierte Sebastian, dass ihr Ziel die Abschaffung der Tierhaltung ist, sie an den Orten der Tierausbeutung aber fast ausschließlich auf Menschen treffen, die die Tierproduktion noch nie in Frage gestellt haben oder sogar in einer Abhängigkeit zu ihr stehen. Hier sei etwas Pragmatik gefragt, gleichzeitig in persönlichen Gesprächen (und auch in der Öffentlichkeitsarbeit) die „radikale“ Position zu kommunizieren, aber sich im Zusammenschluss mit Menschen vor Ort auf ein bestimmtes, sehr konkretes Ziel zu einigen: „Erstmal nur“ die Verhinderung der Anlage XY. Für Corinna stellten die Forderungen, die auch an parlamentarische Vertreter*innen und andere Parteipolitiker*innen versendet wurden, keinen zwingenden Widerspruch zu einer grundlegenden Forderung nach einem Systemwechsel dar. Vielmehr sieht sie die Tierbefreiungsbewegung als Pionier*in in Bezug auf eine Veränderung der Mensch-Tier-Verhältnisse. Sie machte deutlich, dass trotz eines scheinbar utopischen Zieles in den gegebenen Verhältnissen mit der Arbeit begonnen werden muss, also auch mit Forderungen im Rahmen realpolitischer Verhältnisse.

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Mai: Bündnis Marxismus und Tierbefreiung und das Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie

Leider wird es für diese Veranstaltung keinen Mitschnitt geben.

In der Mai-Veranstaltung wurden gegenwärtige Ansätze zu realpolitischen Interventionen mit revolutionärem Anspruch diskutiert. Dafür wurde mit den Bündnissen Marxismus und Tierbefreiung (MuTb), vertreten durch Noemi, und Gemeinsam gegen die Tierindustrie (GgdT), vertreten durch Louie und Lisa, gesprochen.
Den Auftakt machte Noemi von MuTB. Sie stellte das Bündnis und dessen bisherige Aktivitäten vor. Dazu gehör(t)en unter anderem die Organisation zweier Konferenzen, die sich mit strategischen Fragen der Tierbefreiungsbewegung beschäftigten; weiterhin die Publikation von Zeitungen, Broschüren und Texten. Das Bündnis ist ein Zusammenschluss von Aktiven der Tierbefreiungsbewegung und der kommunistischen Linken in Deutschland und der Schweiz. Grundlegendes Ziel des Bündnisses ist die Arbeit an einem Sozialismus, der die Befreiung der Arbeiter*innenklasse, der Tiere* und der Natur ermöglicht. Im Vortrag wurde dabei auf die Bündnis-Perspektive zu „revolutionärer Realpolitik für die Befreiung der Tiere“ eingegangen. Das Bündnis bezieht sich dabei auf Ideen der Sozialistin Rosa Luxemburg. Einen Fokus legte Noemi dabei auf die Beschreibung der Idee einer Offensive gegen die Fleischindustrie (OgFI), bei der die Kämpfe von Arbeiter*innen sowie Tierbefreiungs-, Klima- und Umweltbewegten verknüpft werden sollen, da sich die Kämpfe gegen den gleichen Gegner richten – vom Bündnis als das „Fleischkapital“ beschrieben. Innerhalb der kapitalistischen Logik werden dabei Arbeitende, die Natur und nichtmenschliche Tiere vom Fleischkapital ausgebeutet. Die Lösung dieser Problemlagen liegt, so das Bündnis, in einer Verbindung der verschiedenen Kämpfe aus einer marxistischen Perspektive. Dargelegt wurde auch, was die OgFI von aktuellen Tierrechtskampagnen unterscheidet. Das gewählte Beispiel war dabei eine „Initiative gegen die Massentierhaltung“ in der Schweiz. Die Kritik daran war unter anderem, dass diese Initiative die Ausbeutung von nichtmenschlichen Tieren nicht grundlegend infrage stellt und auch die Ausbeutungsverhältnisse von Menschen nicht mitdenkt.
Im zweiten Vortrag wurde das Bündnis GgdT von Lisa vorgestellt. GgdT existiert als Bündnis seit 2019 und versucht, verschiedene Kämpfe, die sich gegen die Tierindustrie richten, zu verbinden und Kräfte zu bündeln. In ihrem Vortrag stellte Lisa das Selbstverständnis des Bündnisses vor, das unter anderem die Forderung beinhaltet, dass die Tierindustrie abgeschafft werden muss. Das Bündnis plante ursprünglich für 2020 ein Aktionscamp mit einer Massenaktion zivilen Ungehorsams, das aufgrund der Corona-Pandemie jedoch auf 2021 verschoben wurde. Über die Pläne zum Aktionscamp wurde auch während des Vortrags gesprochen.[4] Thematisiert wurden aber auch andere Aktivitäten des Bündnisses. Dazu zählt unter anderem der Watchblog, auf dem aktuelle Nachrichten zur Tierindustrie und dem Widerstand dagegen gesammelt und zur Verfügung gestellt werden. Ein weiteres GgdT-Projekt ist der Podcast Gemeinsam Lauschen, der zu einzelnen Themen rund um die Tierindustrie informiert. Zudem hat GgdT die Studie Milliarden für die Tierindustrie initiiert, die erstmals Daten für Deutschland sammelte, wie viele Gelder durch Subventionen in die Tierindustrie fließen. Das Ergebnis der Studie ist, dass die Tierindustrie über 13 Milliarden Euro jährlich als Subventionen erhält. Durch diese Summen wird die Tierindustrie am Laufen gehalten. Weiterhin stellten Louie und Lisa die weiteren Pläne von GgdT für das Jahr 2021 vor.

Diskussion der Mai-Veranstaltung
Nach einigen Verständnisfragen zu den beiden Vorträgen startete die Diskussion mit einer Frage zur Subventionspolitik. Wie aus der Studie von GgdT deutlich wurde, werden enorme Summen in die Tierindustrie gesteckt. Gefragt wurde, ob es aus Sicht der beiden Bündnisse ein Widerspruch sei zu fordern, dass staatliche Subventionen umgeschichtet werden sollten, wenn doch die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems eines der Ziele der Tierbefreiungsbewegung darstellt. Für MuTb stellt das ganze keinen zwingenden Widerspruch dar, da durch das Streichen von Subventionen für die Tierindustrie ein großer Teil der Finanzierung wegfallen würde. Auch für GgdT stellt dies keinen zwingenden Widerspruch zur sonstigen Tierbefreiungsarbeit dar, da jeder Euro, der nicht in die Tierindustrie fließt, dieser Industrie fehlt, um weiterhin Tiere* auszubeuten. Daher scheint die Forderung der Abschaffung der Subventionen für die Tierindustrie durchaus ein taktisches beziehungsweise strategisches Mittel darzustellen, um die Tierausbeutungsindustrie zu schwächen.
Weiterhin wurden mögliche Kooperationspartner*innen für eine umfassende Agrarwende – weg von Tierproduktion hin zu einer bio-veganen, solidarischen Landwirtschaft – thematisiert. Dabei stand vor allem die Frage im Raum, wie mögliche Kooperationspartner*innen (Bäuer*innen und Arbeiter*innen) für den gemeinsamen Kampf gegen die Tierindustrie gewonnen werden können. GgdT plant beispielsweise Diskussions- und Gesprächsrunden mit Bäuer*innen, um diese für den gemeinsamen Kampf gegen die Ausbeutung von Menschen, Umwelt und Tieren* in der Landwirtschaft zu gewinnen. Außerdem will das Bündnis auf politischer Ebene darauf hinwirken, dass Ausstiegsprogramme aus der Tierhaltung und eine Transformation der Betriebe in nachhaltige, bio-vegane Landwirtschaften finanziert werden. Zudem führt GgdT Aktionen in Solidarität mit ausgebeuteten Arbeiter*innen durch und macht damit Forderungen nach guten Arbeits- und Lebensbedingungen für alle stark. MuTB zielt vor allem auf die Arbeitenden in der Fleischindustrie ab. Dem möglichen Vorwurf, dass durch die Abschaffung der Fleischindustrie den Arbeiter*innen die Jobs genommen werden würden, widerspricht MuTb. Es gehe nicht um eine Abschaffung der Jobs, sondern vielmehr um eine Konversion der Betriebe. Das heißt, es geht um die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die eine andere Form der Nahrungsmittelproduktion anstrebt. Für MuTb ist es dabei eine längerfristige Aufgabe der Tierbefreiungsbewegung, sich an den Kämpfen der Arbeitenden in der Fleischindustrie zu beteiligen beziehungsweise sich mit diesen Kämpfen zu solidarisieren. Dabei sollten die Probleme der Arbeiter*innen und ihre Kämpfe (zum Beispiel Streiks oder Lohnverhandlungen) ernst genommen und die meist migrantischen Arbeitenden nicht als Tiermörder*innen bezeichnet und gedacht werden.

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Juni: Tier im Fokus, Verein gegen Tierfabriken Österreich und Sluit Vion

Ein Mitschnitt der Veranstaltung folgt demnächst.

Nachdem die beiden Veranstaltungen aktuelle Bezüge zur Tierrechts- und Tierbefreiungsarbeit in Deutschland thematisierten, wurde der Blick im Juni über nationalstaatliche Grenzen hinaus gerichtet. Wir diskutierten mit Tobi von der schweizerischen Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (TiF), Chris vom Verein gegen Tierfabriken (VgT) in Österreich sowie Christine und Peter von Sluit Vion aus den Niederlanden.
Den Anfang machte Chris vom VgT aus Österreich, der zunächst seine eigene Aktivismusbiografie vorstellte, um anschließend seine Arbeit im VgT zu erläutern. Der VgT macht sogenannte „Fokus-Kampagnen“, bei denen gezielt ein Tierrechtsthema beziehungsweise eine Tierausbeutungsform angegangen wird. Dafür werden sowohl Aktionsformen wie Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen des zivilen Ungehorsams genutzt, aber auch Formen, die sich direkt an politische Entscheidungsträger*innen richten, wie zum Beispiel Petitionen. Beispielhaft für eine erfolgreiche Kampagne nannte Chris das Käfighaltungsverbot für Hennen in Österreich aus dem Jahr 1994. Ein Beispiel für die Nutzung zivilen Ungehorsams war laut Chris eine Besetzung aller Landwirtschaftsministerien in den verschiedenen österreichischen Bundesländern. Chris machte in seinem Vortrag außerdem deutlich, dass die kontinuierliche Kampagnenarbeit sehr zeitaufwendig und für viele Aktivist*innen weniger interessant ist, da sie längerfristig angelegt ist und unterschiedliche Formen der Recherche und der politischen Arbeit beinhalten.
Den zweiten Vortrag steuerte Tobi von TiF aus der Schweiz bei. Er beschrieb die vielfältige Arbeit des Vereins und legte den Fokus auf die Aufklärungskampagnen von TiF. Diese bestehen zunächst aus Recherchen, deren Ergebnisse veröffentlicht werden, um diese anschließend mit unterschiedlichsten Aktionsformen an politische Entscheidungsträger*innen und die Bevölkerung zu kommunizieren. Eine Schwierigkeit, die von Tobi beschrieben wurde, ist die Kommunikation des Fernziels – die Abschaffung der Tierausbeutung – in den Medien. Die Rechercheergebnisse wurden und werden zwar in den Medien abgedruckt oder ausgestrahlt, aber das Fernziel bleibt dabei häufig auf der Strecke. Zudem ging Tobi auf die veränderten politischen Voraussetzungen der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland – vor allem auf die Möglichkeit der „Volksinitiativen“ – ein. Solche Volksinitiativen sind Möglichkeiten direktdemokratischer Beteiligung. Tobi wies während seines Vortrages darauf hin, dass die angenommenen Initiativen der letzten Jahre vor allem aus einem konservativen politischen Spektrum stammten (zum Beispiel Burka- und Minarettverbot). Gleichzeitig gab es aber auch verschiedene tierbezogene Volksinitiativen, wie beispielsweise die bereits in der vorherigen Veranstaltung erwähnte und kritisierte Massentierhaltungsinitiative. TiF selbst plant für 2022 auch eine eigene Volksinitiative zur Abschaffung der Nutztierhaltung. Dabei stellte Tobi heraus, dass es zwei strategische Zugänge zu Volksinitiativen gibt – einen, bei dem das in der Initiative beschriebene Ziel tatsächlich erfüllt und einen, bei dem eine Diskussion innerhalb der Bevölkerung angeregt werden soll (letzterer ist auch der Zugang von TiF). Der genaue Inhalt der Volksinitiative ist dabei noch nicht in Stein gemeißelt und wird mit genauerem Inhalt im nächsten Jahr lanciert.
Den dritten Vortrag über die Kampagne Sluit Vion hielten Christine und Peter. Sluit Vion arbeitet seit 2020 daran, den Schweinefleisch„produzenten“ Vion zu schließen. Unter dem Hashtag #SluitVion kann sich potentiell jede*r an der Kampagne beteiligen, sofern nicht gegen das Selbstverständnis der Kampagne verstoßen wird. Teil des Selbstverständnisses ist eine antispeziesistische Ausrichtung, die darauf verweist, dass die Tierhaltung insgesamt abgeschafft gehört und Vion nur ein Symbol für die gewaltvolle Tierindustrie darstellt. Außerdem richtet sich Sluit Vion gegen alle Unterdrückungs-, Diskriminierungs- und Ausbeutungsverhältnisse. In den Jahren 2020 und 2021 führte Sluit Vion verschiedene Aktionen zu unterschiedlichen Themen durch, die mit der Fleischindustrie zusammenhängen. So wurde eine Kundgebung in Solidarität mit den Arbeitenden der Fleischindustrie durchgeführt. Außerdem gab es eine symbolische Aktion zur Wasserverschmutzung, bei der den Manager*innen von Vion Flaschen mit Wasser – aus Regionen nahe Vion-Schlachtereien – übergeben wurden. Außerdem wurde eine Zeitung erstellt und unter der lokalen Bevölkerung verteilt, die das Thema Tierausbeutung thematisierte.

Diskussion der Juni-Veranstaltung
In der Diskussion wurden mehrere Aspekte aufgegriffen, die bereits in vorherigen Veranstaltungen angesprochen wurden – beispielsweise die Frage, ob es ein Widerspruch sei, für kleinere Ziele während einer Kampagne zu kämpfen und dabei nicht das große Ziel aus den Augen zu verlieren. Für Chris war das bisher kein Widerspruch. Wichtig war ihm jedoch, dass das große Ziel immer mit kommuniziert wird. In eine ähnliche Richtung argumentierte Tobi: Auch bei der geplanten Volksinitiative ist es TiF wichtig, das Fernziel der Abschaffung der Tierhaltung immer mitzukommunizieren. Für Sluit Vion ist es zudem wichtig, solidarisch mit den Arbeiter*innen der Fleischindustrie zu sein, da auch sie zu den Ausgebeuteten der Tierindustrie zählen. Chris verwies im Folgenden darauf, dass es in Österreich Recherchen gab, bei denen festgestellt wurde, dass einige, meist migrantische, Arbeiter*innen in den Stallgebäuden untergebracht wurden. Auch für TiF ist die Verbindung von sozialen Kämpfen wichtig, da sie sich als ein intersektionaler Verein verstehen. Praktisch übt TiF vor allem Solidarität mit Bäuer*innen, die noch in der Tierhaltung arbeiten. Tobi wies auch darauf hin, dass es bereits Initiativen wie Hof Narr gibt, die Bäuer*innen beim Umstieg von der Tierhaltung hin zu einer bio-veganen Landwirtschaft unterstützen.
Insgesamt wurde deutlich, dass es zwar in den unterschiedlichen Ländern beziehungsweise verschiedenen politischen Backgrounds unterschiedlicher Arbeit für die Befreiung der Tiere* bedarf. Gleichzeitig gibt es jedoch bei vielen Dingen, wie beispielsweise der Ausbeutung von Menschen, Tieren* und der Umwelt, auch größere Überschneidungen. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass sich die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung nicht nur mit anderen sozialen Bewegungen vernetzen muss, sondern es auch einer Internationalisierung des Widerstandes gegen die Tierindustrie bedarf.

Dieser Rückblick ist nur ein Ausschnitt der Veranstaltungen und Diskussionen und konnte nicht die gesamten Debatten abbilden. Dafür konnten wir von einigen der Veranstaltungen einen Videomitschnitt veröffentlichen, sodass ihr euch diese auch nachträglich noch anhören könnt. Wir als Orgateam der Veranstaltungsreihe möchten uns an dieser Stelle herzlich bei allen Referierenden und Teilnehmenden der Veranstaltungen bedanken.

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Bericht von der zweiten Jahreshälfte

Nachdem im ersten und zweiten Quartal 2021 einige theoretische Zugänge zum Konzept der revolutionären Realpolitik für die Befreiung der Tiere* sowie Herausforderungen der praktischen Anwendung diskutiert wurden, widmete sich das dritte Quartal einem „Realitätscheck“. Welche Strategien und Taktiken wurden und werden von Parlamentarier*innen, größeren NGOs und Graswurzelgruppen genutzt, um dem Ziel der Befreiung der Tiere* näherzukommen? Abschließend diskutierten wir im vierten Quartal intersektionale Perspektiven auf revolutionäre Realpolitik sowie Fragen der Organisierung zum Aufbau einer Gegenmacht.

Im Folgenden möchten wir die wichtigsten Inhalte der Veranstaltungen der zweiten Jahreshälfte zusammenfassen. Dieser Rückblick ist nur ein Ausschnitt der Veranstaltungen. Von einigen der Veranstaltungen konnten (bzw. werden) wir auch einen Videomitschnitt veröffentlichen, sodass ihr euch diese auch nachträglich noch anhören könnt.

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Juli: Parlamentarismus im „Realitäts-Check“

Auf Youtube findet ihr einen Mitschnitt der Veranstaltung.

Der Realitätscheck begann im Juli mit einem Blick auf Parlamentarismus, dem klassischsten Feld der Realpolitik. Gerade vor der Bundestagswahl sollte ein Gespräch mit Parteivertreter*innen in der Veranstaltungsreihe nicht fehlen. Die inhaltliche Einstimmung auf die Diskussion lieferten dabei Stefan vom SPD-nahen Verein Sozis für Tiere e.V., Didem als ehemalige Co-Sprecherin der LAG Tierrechte und Tierschutz Berlin und aktuell Mitglied des Parteivorstands von Die Linke und Robert von der BAG Tierschutzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen.

Den Anfang machte Stefan, der bereits seit 16 Jahren in der SPD ist und seit 2013 an der Entstehung und Gründung des Vereins Sozis für Tiere e.V. mitgewirkt hatte. Ziel des Vereins ist es, Tier*themen (Tierschutz, Tierrechte, Tierbefreiung) in der SPD voranzubringen, um politische Mehrheiten zu erreichen. Der Zusammenhang leistet Bildungsarbeit, wirkt vor allem jedoch als Pressure-Group in die Partei hinein. Zu seinen Aufgaben zählen auch Infostände mit veganer Verpflegung auf Parteiveranstaltungen oder die Aufarbeitung der eigenen Geschichte mit Tierschutz- und Tierrechtsbezug. Stefan machte in seinem Input zudem deutlich, dass das Verhältnis zur SPD manchmal schwierig sei und die aktivistische Arbeit viel Geduld erfordere. Es sei dennoch notwendig und lohnenswert, sich als (Tier*-)Aktivist*innen in Parteien einzubringen, um beispielsweise auf Wahlprogramme einwirken oder Tierschutzanträge einbringen zu können. Gleichzeitig könnten Parteien im Allgemeinen und der Verein im Besonderen auch von den Aktivist*innen profitieren – sei es durch thematische Inputs oder durch die Beteiligung an Demonstrationen.

Den zweiten Input lieferte Didem, die gleich zu Beginn ihr Ziel des Abends klarstellte: Werbung zu machen, damit Menschen (partei-)politisch aktiv werden – (fast) egal ob bei den Grünen, der SPD oder der Linken. Sie beschrieb sich selbst als Veganerin und Aktivistin, die seit zwei Jahren bei Die Linke ist. Ihrer Ansicht nach engagieren sich zu wenige Aktivist*innen in Parteien, obwohl es relativ einfach sein kann und Sinn macht – sie selbst hat es nach nur zwei Jahren in den Parteivorstand geschafft und dort zusammen mit anderen Tierrechtler*innen für umfangreiche Tierschutzforderungen im Wahlprogramm gesorgt. Ähnlich wie Stefan nannte auch Didem einige Vorteile der Zusammenarbeit von Parteien und sozialen Bewegungen. So sei beispielsweise die Vernetzung enorm wichtig, um gemeinsam Druck aufzubauen. Aktivist*innen könnten zudem neuen Wind in die Parteien bringen, während Parteimitglieder Anfragen stellen könnten, um Aktivist*innen wertvolle Informationen zu liefern.

Zu guter Letzt kam Robert von der BAG Tierschutzpolitik der Grünen zu Wort. Robert war bereits Tierrechtsaktivist auf der Straße und ist auch Wissenschaftsreferent bei Ärzte gegen Tierversuche, bevor er über persönliche Beziehungen schließlich auch parteipolitisch aktiv wurde. Auch er betonte, dass es einfach sei, in einer Partei – zumindest ehrenamtlich – aktiv zu werden. Er gab allerdings auch zu bedenken, dass Tierrechtler*innen selbst bei den Grünen nicht im Zentrum stünden und eingebrachte Anträge oft verloren werden. Dennoch erachtete er es als sinnvoll, Tier*themen in die Parteien zu tragen, um damit zumindest parteiinterne Diskussionen und im besten Fall graduelle gesellschaftliche Veränderungen auszulösen. Sein Input endete mit einem Exkurs in die Kognitionswissenschaft, wonach Menschen oft nicht nach ihren Überzeugungen handeln, sondern umgekehrt ihre Überzeugungen den Handlungen entsprechend anpassen. Folglich könnten Gesetze dazu dienen, dass sich Handlungen und schließlich auch die Einstellungen von Menschen zu gewissen Dingen ändern. So könnten soziale Bewegungen (und damit auch die Tier*bewegungen) Druck auf Parteipolitiker*innen ausüben, der schließlich zu gesellschaftlichen Veränderungen führe. Dies ist zumindest Roberts Hoffnung und auch die Motivation für sein parteipolitisches Engagement: Wir wissen schließlich nicht, was letztlich zum Erfolg – oder in diesem Fall zu gesellschaftlicher Tierbefreiung – führt.

Bericht von der Diskussion im Juli

Die Diskussion im Anschluss an die drei Inputs begann mit der Frage der Moderation, welches die nach Meinung der Referierenden wichtigsten Politikziele und Gesetzesprojekte im Bereich Tierrechte seien, die in den Wahlprogrammen der drei Parteien für die anstehende Bundestagswahl stehen. Für die Linke führte Didem das Verbandsklagerecht sowie die Einführung einer Bundestierschutzbeauftragten an. Außerdem konnte unter anderem erreicht werden, dass keine speziesistischen Begriffe wie „Nutztier“ oder „artgerecht“ verwendet wurden. Der Versuch, den Passus „langfristig streben wir ein ausbeutungsfreies Mensch-Tier-Verhältnis an“ einzubringen, gelang nicht. Für die Grünen nannte Robert das Zielbild, dass weniger Tiere immer besser gehalten werden sollten, ein Ausstiegsprogramme für Landwirt*innen, ein konkreter Ausstiegsplan für Tierversuche sowie ein Handelsverbot von exotischen Tieren. Für die SPD führte Stefan aus, dass es immer eine große Herausforderung sei, progressive Forderungen im Wahlprogramm unterzubringen. Insbesondere die Mitgliederstruktur angesichts der Alters- und Genderverteilung in der SPD trage dazu bei. Letztlich müssten Forderungen gefunden werden, bei denen auch Fleischesser*innen mitgehen könnten. Er verwies außerdem darauf, dass es für ein progressiveres Wahlprogramm stabile Bündnispartner*innen bräuchte – bisher werde meist nur der Tierschutzbund eingeladen, wenn überhaupt; aus der progressiveren Bewegung gäbe es kaum Lobbygruppen, die es eigentlich bräuchte.

Als mögliche politische Hebel, um den Ausstieg aus der Tierhaltung durch gesetzliche Initiativen stärker voranzutreiben, wurde unter anderem die Einführung einer Unterscheidung von Stall- und Landwirt*innen genannt: Die einen beuten Tiere aus, die anderen produzieren Lebensmittel. Im weiteren Verlauf wurde insbesondere über Preis- und Subventionspolitik diskutiert. Dabei wurden unter anderem die Borchert-Empfehlungen sowie die Kritik daran, die sich etwa in der Studie von Gemeinsam gegen die Tierindustrie findet, diskutiert. Außerdem wurde über eine Abschaffung der erhöhten Mehrwertsteuer auf vegane Produkte gesprochen.

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August: NGO’s im „Realitäts-Check“

Ein Mitschnitt zur Veranstaltung folgt eventuell.

Im August wollten wir mit größeren Tierrechts- und Tierschutzorganisationen über deren Verständnis von revolutionärer Realpolitik ins Gespräch kommen. Wir wollten dabei unter anderem auch wissen, warum sie wie organisiert sind. Dazu waren Heiko und Sandra vom Verein Animal Rights Watch e.V. (ARIWA) sowie Jo und Lukas vom Deutsche Tier-Lobby e.V. (DTL) zu Gast.

Heiko machte den Anfang und stellte ARIWA vor, in dem er seit rund zehn Jahren aktiv ist – seit einigen Jahren auch im Vorstand. Aus seiner Sicht bringt ein gemeinnütziger eingetragener Verein Kontinuität in die Arbeit durch feste Strukturen und eine halbwegs gesicherte Finanzierung durch Vereinsmitglieder. Neben den klassischen Vereinsstrukturen gibt es bei ARIWA – ähnlich wie auch bei die tierbefreier*innen e.V. – ein Netzwerk von Ortsgruppen in verschiedenen Städten, die sehr unterschiedlich sind und autonom innerhalb bestimmter Handlungsräume agieren können, solange dies kompatibel mit dem Selbstverständnis des Vereins ist. Laut Heiko wahrt ARIWA grundsätzlich Distanz zu staatlichen Akteur*innen und arbeitet nicht mit Parteien zusammen, da gesellschaftliche Änderungen mit/in einem parteipolitischen System schwierig möglich sind. Auch vertreten sie eine klar abolitionistische Haltung und setzen sich nicht dafür ein, dass kleinere Reformen umgesetzt oder „ganz schlimme“ Tierhaltungsformen abgeschafft werden, um schließlich Tierbefreiung zu erreichen. Es kann dennoch sein, dass einzelne Reformen als nützlich erachtet und unterstützt werden, aber das seien Ausnahmen. Stattdessen wolle ARIWA durch Druck aus der Bevölkerung Veränderungen in der Politik erwirken, also mit Straßenaktionen und der Veröffentlichung von Recherchen auf einen Bewusstseinswandel hinwirken.

An dieser Stelle übernahm Sandra, die seit 2014 bei ARIWA aktiv ist und sich dort um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Auch sie betonte, dass das Ziel von ARIWA Aufklärung sei und die Aufklärungs- oder Bildungsarbeit bei ARIWA immer an die Forderung nach der Abschaffung der Tierproduktion und der Förderung einer bio-veganen Landwirtschaft gekoppelt ist. Außerdem stellte Sandra noch die von ARIWA betriebenen Kampagnen und Petitionen zur Einführung des Tierschutzverbandsklagerechts in NRW vor, das es seit 2013 gab, bevor es 2018 wieder abgeschafft wurde. Im Vergleich zu anderen Bundesländern wäre das NRW-Gesetz sehr schlagkräftig gewesen, beispielsweise auch durch die Überwachung von Veterinärämtern. Dennoch hatte das Gesetz auch einige Fehler – beispielsweise hätten Behörden anfangs das Akteneinsichtsrecht bezweifelt, das erst gerichtlich erkämpft werden musste. So entstand der Eindruck, dass Behörden und Gerichte immer auf Zeit gespielt und am Ende nur die Gesetzesabschaffung abgewartet haben, sodass es kein Urteil gab. Ziel war allerdings nicht geltendes Tierschutzgesetz zu sichern, sondern die Differenz zwischen Tierschutzgesetz und tierausbeuterischer Praxis aufzuzeigen.

Im Anschluss stellten Jo und Lukas die seit 2019 bestehende DTL vor, die seit 2020 ebenfalls ein eingetragener Verein ist. Diese beiden bezeichneten sich selbst als vegane Tierrechtler*innen, die intern und extern den Schulterschluss zu Tierrechtler*innen und Tierschützer*innen suchen wollen. Ihre Vision: Radikal verbesserte Lebensbedingungen für alle Tiere, massiv verringerte Tier„nutzung“ durch den Menschen und kein Vorenthalten der natürlichen Bedürfnisse von Tieren, solange es Tierhaltung gibt. Dabei versucht die DTL, möglichst viele Tierschutz- und Tierrechtsgruppen zusammenzubringen: So soll ein schlagkräftiges Netzwerk für eine realpolitische Lobby der Tiere entstehen. Sie orientieren sich an der freiheitlich demokratischen Grundordnung und verstehen sich als überparteilich. Vor diesem Hintergrund ist die DTL offen für eine Lobby-Zusammenarbeit mit allen demokratischen Parteien, um alle staatlichen Möglichkeiten zu nutzen. Zu den vergangenen Aktivitäten der DTL zählen bundesweite Aktionstage sowie Pressearbeit zur angestrebten gänzlichen Abschaffung des Kastenstands und zur Bundestagswahl 2021, außerdem direkte Ansprachen von Politiker*innen unter anderem über persönliche Gespräche, Anrufe, Postkarten und E-Mails. Eine zentrale Forderung der DTL ist die massive Verteuerung von „Tierprodukten“ durch eine Verschärfung der Vorgaben und Bepreisung der externen Schäden, bei gleichzeitiger Förderung veganer und kultivierter Produkte (Laborfleisch). Dadurch sollen „Tierprodukte“ schrittweise durch Alternativen verdrängt und ein Bedeutungsverlust von „Tierprodukten“ erreicht werden, wodurch die Voraussetzung für eine gesellschaftliche Debatte über die Beendigung der Tötung von Tieren ermöglicht würde.

Bericht von der Diskussion im August

Zu Beginn der Diskussion wurden die Referierenden nach ihrem Verhältnis zu klassischen Tierschutzorganisationen gefragt. ARIWA positioniert sich diesbezüglich als abolitionistische Organisation, die keine Zusammenarbeit mit dem klassischen Tierschutz eingeht. Die Vergangenheit hätte gezeigt, dass schrittweise Reformen nichts brächten. Aus Sicht der DTL, die sich als Interessensvertretung der sog. „Nutz“tiere versteht, verbindet die meisten Gruppen mehr als sie trennt, weshalb es wichtig sei, einen Teil des Weges gemeinsam zu gehen. Daher arbeitet die DTL auch mit klassischen Tierschutzorganisationen zusammen. Zusätzlich zu deren Ausrichtung legt die DTL Wert auf eine starke Betonung der Reduktion, eine radikalere Vision sowie einen stärkeren Fokus auf Vernetzung mit Tierrechtler*innen. Für die DTL hat die Einforderung konkreter politischer Schritte im Interesse der Tiere Vorrang gegenüber der Formulierung einer radikalen Vision.

ARIWA betonte in der Folge, dass den Konsumierenden, wenn wir als Bewegungen Tierschutzforderungen stellen, das Steak wegen vermeintlicher Tierwohl-Standards schmackhaft gemacht würde. Für ARIWA könne eine Formulierung von Zwischenschritten zwar manchmal zielführend sein, aber dabei müsse die Forderung nach einer Abschaffung immer klar sein. In der Folge gab es eine Reihe von Beiträgen der weiteren Teilnehmenden. So wurde etwa die maßgebliche Rolle der europäischen Ebene für die Agrarpolitik betont und in diesem Sinne auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen hingewiesen.

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Oktober: Graswurzelgruppen im „Realitäts-Check“

Leider gibt es von dieser Veranstaltung keinen Mitschnitt.

Auch wenn wir im ersten und zweiten Quartal zum Teil schon über Perspektiven und Strategien der Graswurzelgruppen der Tierbefreiungsbewegung gesprochen haben, wollten wir mit eben jenen diese Diskussionen vertiefen. Zu Besuch waren dieses Mal Aktivist*innen von der Offensive gegen die Pelzindustrie (OgPI) und von tierbefreiung dresden. Da wir uns im September eine kleine Sommerpause gönnten, fand diese Veranstaltung erst im Oktober statt, zählt thematisch aber noch zum dritten Quartal. Die technischen Pannen des Abends versuchen wir an dieser Stelle auszublenden.

Den Anfang machte ein*e Aktivist*in der OgPI, die sich im deutschsprachigen Raum seit circa 2000 fokussiert gegen die Pelzindustrie einsetzt. Die OgPI versteht sich als Netzwerk aus Tierrechts- und Tierbefreiungsgruppen sowie Einzelpersonen und verortet sich dabei in einem allgemein-emanzipatorischen Kontext. Ziel der OgPI ist es, den Pelzhandel in all seinen Erscheinungsformen abzuschaffen. Um das zu erreichen, koordiniert die OgPI Kampagnen gegen Modehäuser, die Pelzprodukte verkaufen. Sie stellt allen beteiligten Gruppen Aktionsmaterial bereit, die dann wiederum Aktionen im Rahmen der Kampagne durchführen. Die Adressat*innen der Kampagnen sind dabei sowohl die Pelzindustrie und die Wirtschaft als auch politische Institutionen und die Öffentlichkeit. Die Gründe für die Fokussierung auf die Pelzindustrie waren rein taktische: Die Pelzindustrie war in Deutschland vergleichsweise schwach und die Spezialisierung auf eine bestimmte Tierausbeutungsindustrie versprach effektiver zu sein. Außerdem wurde das Thema Pelz bislang vor allem vom klassischen Tierschutz bearbeitet – es bestand also ein großes Potential, Menschen für Tierbefreiungspositionen zu sensibilisieren.

Die OgPI hat vor allem Pressure Campaigns durchgeführt und mit diesen Druck auf die Industrie beziehungsweise einzelne Unternehmen ausgeübt, anstatt an die Konsument*innen zu appellieren. Pressure Campaigns sind konzentrierte Kampagnen gegen einzelne Modeunternehmen oder Kaufhäuser, bei denen kontinuierlich vielfältige Aktionen gegen ein Ziel stattfinden. Dadurch erfolgt eine Bündelung von Kräften mit entsprechenden Synergieeffekten. Zu Beginn einer solchen Kampagne wird eine konkrete Zielvorstellung beziehungsweise werden Forderungen aufgestellt und solange Druck erzeugt, bis das Ziel erreicht ist. Über Jahre hinweg konnte die OgPI so Erfolge erzielen: Es kam zu einer Pelzausstiegswelle zahlreicher Unternehmen, teilweise genügte bereits eine Anfrage an das Unternehmen oder die reine Ankündigung einer Kampagne. In Deutschland gibt es inzwischen nach Verschärfung der Tierhaltungsvorgaben überhaupt keine Pelzfarmen mehr, die großen Modehäuser im deutschsprachigen Raum verkaufen alle keinen Echtpelz mehr. Jedes Jahr findet noch ein Pelzcheck statt, um Wiedereinstiege zu verhindern und um kleine Läden zu identifizieren, die noch Pelz verkaufen.

Im Anschluss stellte Julia die von tierbefreiung dresden mitinitiierte Kampagne gegen den Neubau eines Orang-Utan-Hauses im Dresdener Zoo vor. Auch wenn sich die Gruppe sonst eher im Anarchistischen Netzwerk Dresden bewegt und mit Parteipolitik wenig am Hut hat, wurde sie im Februar 2021 von einem Stadtrat der Piratenpartei kontaktiert: Der Zoo (eine städtische Tochterfirma) plane einen Neubau für die Orang-Utans, der 17 Millionen Euro kosten solle. Um dies zu verhindern, organisierten die Piraten als treibende Kraft im Parlament und tierbefreiung dresden als „außerparlamentarische Kraft“ lokale Proteste. So wurde die Graswurzelgruppe zum Bindeglied zwischen der parlamentarischen Ebene und der Tier*bewegung (beispielsweise dem Great Ape Project). Zunächst mussten entsprechende Forderungen formuliert und Alternativen für die fünf Orang-Utans gefunden werden. Dann wurden weitere Parteien und Stadträte kontaktiert und zu Videokonferenzen eingeladen, um deren Position kennenlernen und die eigenen Forderungen anbringen zu können. Auch ein von den Grünen organisiertes Treffen vor Ort im Zoo fand unter Beteiligung von Zoo-Verwaltung und Architekt*innen, Politiker*innen und der Tierbefreiungsgruppe statt. Bei diesen Treffen wurde schnell klar, dass die politisch Verantwortlichen wenig informiert und die Planungen ohne Sachverstand von Expert*innen durchgeführt waren – dennoch gab es aufgrund der starken Zoo-Lobby kaum eine Chance für einen Stopp des Neubaus. Schließlich wurde unmittelbar vor der entscheidenden Stadtratssitzung noch eine Kundgebung gegen Zoos im Allgemeinen und den Neubau im Besonderen organisiert, doch der Antrag wurde letztlich trotzdem angenommen – das neue Haus wird gebaut, die geforderte Mitsprache einer kritischen Zivilgesellschaft wurde abgelehnt. Gegebenenfalls wird auch der Bau mit Protest begleitet werden.

Bericht von der Diskussion im Oktober

Die Diskussion begann mit der Frage, ob im Rahmen der Entstehung der OgPI auch über ihr Verhältnis zu Parteien und staatlichen Instanzen diskutiert wurde, und ob die später erlassene, für die Pelzindustrie höchst kritische Pelztiernutzungsverordnung etwas geändert hätte bei ihrem Verhältnis. Die*der Aktivist*in führte aus, dass sie zwar selbst nicht bei der OgPI-Gründung dabei war, aber aufgrund der klaren Verortung der Aktiven im linken bzw. linksradikalen Spektrum davon auszugehen ist, dass schnell klar war, dass parlamentarisch nicht eingewirkt werden sollte. Als die Pelztiernutzungsverordnung eingeführt wurde, wurde das anfangs in der OgPI kaum beachtet; die Aktiven waren dann überrascht, dass die Auswirkungen so umfangreich und gut waren. Vor diesem Hintergrund drückte der*die Aktivist*in Dankbarkeit dafür aus, dass andere sich mit Politiker*innen austauschen, was für sie*ihn persönlich nichts sei.

Die nächste Diskussionsfrage drehte sich darum, ob Zoos als wirtschaftliche Instanz, die sich zudem oft in kommunalem Eigentum befinden, auch das Ziel von „Pressure Campaigns“ sein könnten. Die folgenden Wortbeiträge machten deutlich, dass die Erfolgschancen einer Pressure Campaign maßgeblich vom Image des Ziel-Zoos abhängen und nicht nur vom direkten ökonomischen Schaden, der möglich ist. Zoos seien in dieser Hinsicht nochmal anders gesellschaftlich etabliert als zum Beispiel die Pelzindustrie. Wichtig sei ferner auch ein sinnvolles Kampagnen-Ziel, das gewinnbar ist.

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November: Feministische Perspektiven

Ein Mitschnitt der Veranstaltung folgt demnächst.

Als Einstieg in die November-Veranstaltung hörten wir einen Vortrag von Sheila. Sheila ist Aktivistin in den Bereichen Tierbefreiung und Feminismus, sie ist unter anderem in lokalen feministischen Kontexten sowie im Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie aktiv und vertritt eine anarchistische Perspektive. Sheila hatte sich durch ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Schwangerschaftsabbrüche an ihrem Wohnort mit revolutionärer Realpolitik beschäftigt. Davon ausgehend hatte sie sich gefragt, wie sie als Anarchistin Forderungen an den patriarchalen Staat stellen könne. Sie kam zu dem Schluss: Ja, das ist ein Widerspruch, aber er ist einzugehen, da es um Existenzen und körperliche Selbstbestimmung geht, die hier und jetzt zu erkämpfen sind und nicht auf nach der Revolution verschoben werden können. Denn wenn die einschlägigen Paragraphen gestrichen würden, wäre die Lage besser und die Betroffenen würden empowered. Inzwischen gibt es ein überregionales Bündnis, in dem gemeinsam realpolitisch auf die Streichung der Paragraphen hingewirkt wird – was Sheila als revolutionäre Realpolitik versteht.

Sheila hatte auch an den ersten Veranstaltungen unserer Veranstaltungsreihe teilgenommen und sich gefragt, warum revolutionäre Realpolitik in anderen Bewegungen gehe, es aber in der Tierbefreiungsbewegung so schwerfalle. Ihrer Ansicht nach könnte ein zentraler Grund in der besonderen Herausforderung liegen, die Betroffenenperspektive von nichtmenschlichen Tieren in unsere Bewegung einzubinden. Tiere sind Subjekte der Befreiung von Tierausbeutung; wenn wir uns aber beispielsweise in der Veranstaltungsreihe oder anderswo austauschen, sind sie Objekte, die nicht an dem Austausch beteiligt sind. Im Vergleich zu anderen Bewegungen sei dies der Knackpunkt, da die Betroffenen sich dort die Subjekt-Rolle erkämpfen können. Sheila verdeutlichte das mit Bezug auf Feminismus: Dieser ist weiß und bürgerlich geprägt und hat daher kein revolutionäres Potential, da einige FLINTA*s nicht einbezogen werden, etwa schwarze FLINTA*s oder solche mit Behinderungen. Aber weil dort immer wieder kritisch interveniert wurde und wird und Bewegungen wie der lesbische Feminismus oder der schwarze Feminismus als Abspaltungen verstanden wurden, hat sich ein erweiterter gemeinsamer Kampf herausgebildet. Für die Tierbefreiungsbewegung stellt sich laut Sheila die Frage, was ein Umgang damit sein kann, dass Tiere nicht selbst als Betroffene intervenieren können – hier gäbe es bislang Berührungsängste in der Tierbefreiungsbewegung. Einer der wenigen Räume, an denen Tiere als Subjekte erlebt werden könnten, seien Lebenshöfe.

Bericht von der Diskussion im November

Im Anschluss an Sheilas Input ergab sich eine vielschichtige Diskussion, die wir an dieser Stelle nur auszugsweise wiedergeben können. Wer die gesamte Diskussion nachhören möchte, kann sich gerne den Videomitschnitt anschauen.

Der Einstieg in die Diskussion drehte sich um die Frage der Moderation, wie eine intersektionale Praxis für Sheila aussieht bzw. wie das theoretische Konzept in die alltägliche politische Arbeit integriert werden kann, damit es nicht nur ein Modewort innerhalb einer Bewegung bleibt. Sheila betonte zunächst den Nutzen der Intersektionalitätstheorie als ein analytisches Werkzeug, das dazu eingesetzt werden kann, uns individuell sowie die eigene Polit-Gruppe zu reflektieren. Darüber hinaus bedeutet Intersektionalität für sie im praktischen Sinne Inklusion, wobei noch geklärt werden müsse, was das in Bezug auf nicht-menschliche Tiere bedeutet.

Ein folgender Diskussionsstrang drehte sich um die Frage, ob die Tierbefreiungsbewegung mehr realpolitische Forderungen stellen sollte und wie das konkret aussehen könnte. Nach Sheilas Einschätzung sei das bei Themen wie Futtermittelimporten vergleichsweise einfach, konkret mit Bezug auf nicht-menschliche Tiere ergäbe sich jedoch ein riesiger Zwiespalt. Eine Leitfrage könnte sein: Was würden Tiere fordern, wenn sie uns etwas mitteilen könnten? Klar sei: Sie wollen nicht leiden, das sollte so schnell es geht aufgehalten werden. Aber sonst? Wir müssten weiter nach revolutionär-realpolitischen Antworten suchen! Ein*e Teilnehmende*r ergänzte, dass es sehr schwierig sei, eine Grenze zu ziehen, ab wann eine Forderung, die die jetzt gerade leidenden Tiere ein Stück weniger leiden lässt, zu wenig revolutionär sei. Das fühle sich auch sehr anthropozentrisch an.

Rückblickend auf die Entwicklungen um Kastenstände in den letzten Jahren wurde die Frage gestellt, welches Potential es habe, progressive Tierschutz-Reformen zu pushen, wenn sich ein Möglichkeitsfenster für radikale Veränderungen auftue. Konkret wurde benannt, dass nach der gerichtlichen Feststellung der Verfassungswidrigkeit bestehender Kastenstände in der Schweinehaltung eine Chance vertan wurde, die Politik zu weitreichenden Einschränkungen der Schweinefleischkonzerne zu drängen. Sheila führte daraufhin aus, dass es ihr persönlich widerstrebe, auf Gerichte und Gesetze zu setzen und sie sich schwer damit tue, sich für solche Forderungen einzusetzen, aber dass sie es nicht falsch fände, wenn andere es im Sinne einer Vielfalt der Bewegung täten. Gut und stark wäre es, dass sich die Tierbefreiungsbewegung weiter vorwagt und sich in die Debatte einmischt, die sonst vielleicht von Tierrechts- und Tierschutzgruppen übernommen werde. Dabei ließen sich auch Zugeständnisse vom Staat erreichen, ohne unbedingt Forderungen direkt an diesen zu stellen.

Es folgte eine These der Moderation: Pro-feministische Positionen gehörten heutzutage zum Selbstverständnis der allermeisten linken Gruppen, demgegenüber hätten die meisten linken Gruppen einen blinden Fleck bezüglich der Ausbeutung von Tieren* – in manchen Kontexten würden Tierrechts- und Tierbefreiungspositionen gar als reaktionär gelten. Daran schloss sich die Frage an, welche Herausforderungen sich für eine intersektionale Praxis ergäben. Sheila teilte den Eindruck, dass feministische Ansätze weiterverbreitet seien als Tierbefreiungsansätze. Sie brachte den Gedanken ein, dass ein Grund dafür die Problematik sein könnte, dass die Betroffenen der Tierausbeutung, also nicht-menschliche Tiere, nicht selbst als Subjekte in der Linken auftreten würden und daher weniger Berücksichtigung fänden. Angesichts dessen läge es an der Tierbefreiungsbewegung, Wege zu finden, die Relevanz nicht-menschlicher Tiere zu vermitteln – und diese nicht nur als leidende Tiere zu zeigen, die Mitleid erzeugen, sondern vielmehr Bilder zu zeichnen, die nicht-menschliche Tiere als Subjekte zeigen – in anderen Bewegungen sei das selbstverständlicher. Gleichzeitig müssten wir gegenüber anderen Bewegungen glaubhaft zeigen, dass wir auch andere Kämpfe unterstützen.

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Dezember: Mit Organisierung zu Gegenmacht

Leider gibt es zu dieser Veranstaltung keinen Mitschnitt.

Zum Ende der Reihe warfen wir den Blick darauf, wie wir konkret Gegenmacht aufbauen können und welche Organisierungsformen wir dafür brauchen. In die Veranstaltung starteten wir mit Inputs von Jost vom Ackersyndikat sowie vom Sabotage-Waschbär von der Initiative Feldhamstern, die an konkreten Organisationsmodellen für eine Entprivatisierung und Selbstorganisierung der (bio-veganen) Landwirtschaft arbeiten.

Den Anfang der Veranstaltung machte Jost: Er gab uns einen Überblick über das Ackersyndikat, einen dezentralen Solidarverbund selbstorganisierter Höfe. Das Ackersyndikat, das aktuell noch in der Initiierungsphase ist, möchte sicherstellen, dass Land kein Privateigentum, sondern unverkäuflicher Gemeinschaftsbesitz ist – im Besitz der Menschen, die es landwirtschaftlich bewirtschaften. Vorbild für das Ackersyndikat ist das Mietshäuser Syndikat, da fruchtbarer Boden vergleichbar mit Wohnungen immer mehr zum Spekulationsobjekt wird. Im Detail lässt sich das Konzept des Ackersyndikats auf dessen Homepage nachvollziehen; kurz gesagt ist das Ackersyndikat ein dezentraler Solidarverbund, in dem alle angeschlossenen Höfe Mitglied werden. Die Vollversammlung der Mitglieder entscheidet basisdemokratisch über die weitere Entwicklung des Syndikats. Das Ackersyndikat garantiert eine dauerhaft günstige Pacht für die Höfe, stellt sicher, dass der Boden dauerhaft entprivatisiert bleibt, und ermöglicht einen Solidartransfer von Alt- zu Neuprojekten. Dabei hat das Ackersyndikat keinen bio-veganen Anspruch, sondern ist auch für kleinbäuerliche Tierhaltung offen. Das liegt an der Projektautonomie: Nutzer*innen bestimmen selbstständig über die Bewirtschaftung des Bodens. Jost macht sich aber im Ackersyndikat auch für bio-vegane Höfe stark.

Im Anschluss an Jost stellte der Sabotage-Waschbär die Initiative Feldhamstern vor. Der Sabotage-Waschbär führte zunächst aus, was bio-vegane Landwirtschaft für ihn bedeutet, nämlich die Verbindung eines tierethischen Anspruchs mit ökologischer Landwirtschaft. Feldhamstern ist dabei ein Strukturkonzeptentwurf mit dem Ziel, von der Wurzel an alles richtig zu machen. Es sollen resiliente Strukturen geschaffen werden, um Boden in nichtstaatliches Gemeineigentum zu überführen, auf dem dann nichtprofitorientierte, bio-vegane Landwirtschaft ermöglicht wird. Das Konzept im Detail zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Ausführliche Informationen finden sich auf der Website der Initiative sowie in einem ausführlichen Beitrag zum Konzept in der TIERBEFREIUNG 102. Kurz gesagt: Eigentümer*in des Bodens, die assoziierten Landwirtschaftsbetriebe sowie die Konsumkooperativen sind jeweils rechtlich eigenständige Gesellschaften, die allerdings wechselseitig verschränkt sind und somit die Unverkäuflichkeit des Bodens sowie die bio-veganen Standards durch gegenseitige Veto-Rechte sicherstellen. Über einen Solidaritätsfonds sollen Querfinanzierungen zwischen den verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben ermöglicht und Neugründungen unterstützt werden, außerdem ist eine Beratungsstruktur vorgesehen.

Bericht von der Diskussion im Dezember

Den Einstieg in die Diskussion bildete die Frage nach möglichen Synergieeffekten zwischen Ackersyndikat und Feldhamstern. Jost führte aus, dass sich die bio-vegane Landwirtschaft gut in das Ackersyndikat-Konzept einfüge – ein bio-veganer Hof könnte sich in Kooperation mit dem Ackersyndikat langfristig absichern. Das würde zwar mit einer Solidargemeinschaft mit tierhaltenden Betrieben einhergehen, allerdings sei das in Josts Ansicht kein grundlegendes Problem: Tierhaltende Kleinbäuer*innen seien gegenwärtig nicht das Hauptproblem, vielmehr bräuchte es einen Zusammenschluss gegen den gemeinsamen Feind, die steigenden Bodenpreise durch Spekulation für kurzfristigen Profit. Und auf jeden Fall seien Betriebe, die Massentierhaltung betreiben, von einer Mitarbeit im Ackersyndikat ausgeschlossen. Perspektivisch könnte aber durchaus überlegt werden, im Ackersyndikat bei Bedarf eine „Unterstruktur“ mit bio-veganer Ausrichtung zu installieren. Für den Sabotage-Waschbär ist das hingegen der falsche Ansatz. Aus seiner Sicht ist eine rein bio-vegane Organisierung dringend notwendig. Denn solange bio-vegane Höfe in einer übergeordneten Struktur in der Minderheit blieben, könnten die Interessen nicht ausreichend eingebracht werden. Eine informelle Kooperation zwischen einer rein bio-veganen Struktur und dem Ackersyndikat sei aber denkbar.

Das führte zu der Folgefrage, ob sich die Linke solche Abspaltungen gegenwärtig leisten könne. Angesichts des schnell vonstattengehenden Strukturwandels in der Landwirtschaft vertrat Jost die Position, dass kleinbäuerliche landwirtschaftliche Betriebe als Kampfgenoss*innen verstanden werden müssten. Beim Ackersyndikat stünde nicht die Veganisierung von Individuen im Mittelpunkt, sondern die Veränderung der Produktion. Viele Betriebe würden Tiere nicht deshalb halten und töten, weil sie es toll fänden, sondern weil sie in Zwängen gefangen seien, etwa in Abhängigkeiten von Lebensmittelmärkten. Demgegenüber machte ein*e Teilnehmer*in die Position stark, dass auch kleinbäuerliche Betriebe Teil des Tiernutzungssystems seien und es eine klare Haltung gegen Tierhaltung brauche. Die Fokussierung auf bio-vegane Landwirtschaft könne zu radikaleren Ansätzen führen, die das gesamte Framing der Tiernutzung verschieben. Im Folgenden wurde angeregt, dass das Ackersyndikat auch dazu beitragen könnte, beteiligte tierhaltende Betriebe zum Ausstieg zu bewegen, ähnlich Projekten wie BeVeLa („Begleitung zur Veganen Landwirtschaft“).

Anschließend wurde die Frage eingebracht, ob Organisationsmodelle wie die beiden vorgestellten über eine Nische hinaus für umfangreiche Veränderungen geeignet wären, oder ob es angesichts der enormen Dringlichkeit der Klimakrise nicht vielmehr Ansätze bräuchte, die möglichst schnell in die Breite skalieren, gegebenenfalls mit einer stärkeren zentralen Komponente. Für den Sabotage-Waschbär ist die Dringlichkeit zwar nachvollziehbar, allerdings könnten Sachen nur entweder schnell oder ordentlich gemacht werden – es führe also kein Weg vorbei an von Grund auf vertretbaren Ansätzen, wie bei Feldhamstern beabsichtigt. Jost wies darauf hin, dass das Ackersyndikat in andere politische Prozesse und Kämpfe eingebunden werde und somit auch für systematische Änderungen einstehe.

Im Folgenden wurden alle Teilnehmenden zu einem Brainstorming im Chat zu folgender Frage eingeladen: Welche Stellschrauben müssten/sollten im Sinne einer revolutionären Realpolitik geändert werden, um im jetzigen System die Ausgangsbedingungen für eine syndikalistische Organisierung der (bio-veganen) Landwirtschaft zu verbessern? Die Frage führte zu vielfältigen Ideen, unter anderem: Preise/Mehrwertsteuer auf (bio-)vegane Produkte massiv verringern, Arbeitsplätze von noch nicht veganen Arbeiter*innen sichern bzw. direkt transformieren, Großkonzerne enteignen und deren Bodeneigentum in eine gemeinnützige Genossenschaft überführen, kostenfreie Gemüsekisten für alle, Verbot des Aufkaufs landwirtschaftlicher Betriebe durch nicht-landwirtschaftliche Akteur*innen, Fördermittel für die bio-vegane Landwirtschaft, massivste Subventionierung von selbstverwalteten Räumen, mehr Beteiligung an politischen Abstimmungen und Konzeptentwicklung, sanktionsfreies Bürger*innengeld, völlige Umstrukturierung der EU-Subventionen.

 

Mit der Dezember-Veranstaltung ging unsere Veranstaltungsreihe zu Ende. Über das Jahr 2021 hinweg fanden insgesamt elf Veranstaltungen mit vielen tollen Referierenden und Teilnehmenden statt. Während der Pandemie ein Online-Diskussionsformat zu starten, war ein spannendes Unterfangen und hat uns ermöglicht, trotz Social Distancing zusammenzukommen, wenn auch mit Einschränkungen.

Wir als Orgateam der Veranstaltungsreihe möchten uns sehr bei allen Beteiligten bedanken und freuen uns, an anderer Stelle mit euch über Strategien unserer Bewegung weiter zu diskutieren.